Lückenbüßer für dritte "Walking Dead"-Staffel?

Mit reichlich Blut, aber wenig Ruhm hat sich Telltale Games in den ersten beiden Episoden seiner Mini-Serie "The Walking Dead: Michonne" bekleckert. Während die Staffeln 1 und 2 der sehr lose an die gleichnamige Comic-Reihe angelehnten Games Kritiker wie Spieler gleichermaßen begeisterten, sorgte ausgerechnet die Serie rund um Fan-Liebling Michonne für Ernüchterung. Zu kurz, wenig abwechslungsreich, größtenteils uninteressante Wegwerf-Charaktere. Da war man als Spieler von Staffel 1 und 2 besseres, weitaus besseres gewohnt. Vielleicht ist es unfair, "The Walking Dead: Michonne" mit den Vorgängern zu vergleichen. Nicht nur legten diese die Latte extrem hoch, zudem ist klar erkennbar, dass die Michonne-Episoden Lückenfüller für eine mögliche dritte Staffel mit einer vermutlich erwachsenen Clementine darstellen. 

Technisch bewegt sich die Mini-Serie auf vertrautem Terrain: Den Comic-Stil kann man lieben oder auch nicht. Auffällig ist jedoch, dass beispielsweise in den Titelsong und das Intro viel Mühe flossen, während in den drei Episoden selbst eine detailarme Welt, die kaum erkundbar ist, gezeichnet wird. Wobei sich natürlich die Frage stellt: Möchte man diese Welt erkunden? Tatsächlich laden die Landschaften und die Szenarien nicht zum Herumstochern ein. War man in den Clementine-Staffeln noch darauf erpicht, jedes noch so kleine Detail zu erforschen und jeden möglichen Dialog zu führen, hält sich das entsprechende Interesse bei den Michonne-Episoden in überschaubaren Grenzen.

Zombies als Statisten in einer Zombie-Serie

Wenig abwechslungsreiche Locations und holzschnitzartige Charaktere vergällen jegliches Interesse daran. Warteten Staffel 1 und 2 noch mit vielen Locations und zahlreichen völlig unterschiedlichen Charakteren auf, deren Schicksal und zwangsläufiges Ableben für emotionale Momente sorgte, vermag Michonnes Geschichte einfach nicht den nötigen Funken auf den Spieler überspringen zu lassen. Weder mit den neu gewonnenen Freunden, noch mit den Bösewichten wird man so richtig warm. Selbst das Element der Überraschung in Form eines Plot-Twists oder eines jähen Ablebens während einer Dialogzeile ist hier entweder gar nicht vorhanden oder seltsam vorhersehbar. Ähnlich der TV-Serie von AMC leidet die Mini-Serie daran, Figuren einzuführen, deren abrupten Tod man regelrecht erwartet.

Wenn wenigstens die Story von "The Walking Dead: Michonne" überzeugen könnte. Aber die beabsichtigte Dramatik stellt sich an keiner Stelle ein, läuft es doch letztendlich auf die überraschungsarme Konfrontation samt Quick-Time-Events hinaus. Merkwürdig mutet dabei die praktisch gar nicht mehr vorhandene Bedeutung der Zombies an. Diese tauchen zwar auf, sorgen allerdings für keinerlei Spannung und lassen den Verdacht aufkommen, dass sie nur deshalb auf dem Bildschirm erscheinen, um den Ansprüchen einer Zombie-Serie zu genügen. Sicher: Im "The Walking Dead"-Universum sind die lebenden Mitmenschen oft die größere Gefahr als die Untoten. Ob man aber deshalb die Zombies zu Statisten verkümmern lassen musste?

Was an Zombies und Charakterisierung zu wenig, ist an Visionen zu viel. Soll heißen: Michonnes Schuldgefühle wegen ihrer Töchter nehmen viel zu viel Raum ein. Die fließenden Übergänge zwischen der Realität und ihren Visionen sind ein interessantes und zu Beginn der Serie interessantes Stilmittel. Gefühlt besteht aber ein Drittel der gesamten Michonne-Episode aus diesen quälenden Visionen ihres Schuldbewusstseins und nervt irgendwann einfach nur noch, da es erstens repetitiv ist und zweitens keine befriedigende Auflösung, was genau geschehen ist, bietet.

Wird es Telltale Games mit Clementine wieder richten?

Angesichts dessen erscheint es wohl widersprüchlich, die kurze Dauer der einzelnen Episoden anzusprechen. Lieber kurz und knackig, als endlos ausgewalzt, richtig? Richtig. Bloß: Knackig ist hier gar nichts. Die Szenarien kommen dem Spieler aus der "Walking Dead"-Serie vertraut vor. Spannung keimt an keiner Stelle auf, und ob Nebenfiguren leben oder sterben, lässt einen völlig kalt. Ausgerechnet das Finale der Mini-Serie "The Walking Dead: Michonne" ist extrem kurz geraten. Nach gut einer Stunde ist man durch, mit viel Herumwandern und erschöpfendem Erkunden der wenigen Locations und Räume kann man vielleicht eine zusätzliche Viertelstunde herausschlagen. Aber wieso sollte man? Was sich in Episode 1 abzeichnete, setzte sich bis zum Finale fort: Für Telltale Games besaß diese Mini-Serie offenbar niedrigste Priorität. Sei es auf Grund der Arbeiten zu einer Batman-Adaption, sei es das Sammeln der Kräfte für die dritte "echte" Staffel von "The Walking Dead", in der wiederum Clementine die Hauptrolle spielen sollte.

Als Fan der ersten beiden Staffeln hofft man auf letzteres. Denn mit "The Walking Dead: Michonne" erwies Telltale Games weder den Spielern, noch sich selbst einen großen Gefallen. Falls es eine dritte Staffel geben und diese auch nur annähernd die dichte Atmosphäre und Originalität der ersten beiden besitzen sollte, wird man als Spieler diese drei Michonne-Episoden als verzeihbaren Ausrutscher betrachten und das Leichentuch des Schweigens darüber ausbreiten.

rainerinnreiter, am 01.05.2016
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