Das Christentum: Unterschiede von Anfang an

Nach den Berichten und Briefen des biblischen Neuen Testaments wurden die ersten Christen offenbar als jüdische Sekte angesehen und betrachteten sich auch selbst keineswegs als neue Religionsgemeinschaft. Doch die christliche Lehre blieb nicht lang auf jüdisches Kernland begrenzt. Durch Verfolgung, Vertreibung sowie vor allem durch die Reisen des Apostels Paulus gelangte das Urchristentum bald auch in so genannte heidnische Gebiete. Dieser Umstand brachte trotz gleicher Glaubensinhalte bereits eine Unterscheidung in Judenchristen und Heidenchristen mit sich. Hinzu kamen erste Abspaltungen durch so genannte Irrlehrer, welche griechische Weltanschauung mit christlicher Religion vermischten. Einige Briefe des Apostels Paulus legen nahe, dass diese ersten Abweichler sich unter anderem nicht scheuten, gefälschte Paulusbriefe in Umlauf zu bringen. Aufgrund der langen und zeitaufwendigen Kommunikationswege hatten sie dabei leichtes Spiel.

Die fortwährende Entstehung christlicher Kirchen

Das 4. Jahrhundert brachte schließlich eine scheinbare Einheit mit sich. Aufgrund der unübersehbaren Vielfalt an Schriften machten sich die geistlichen Führer der Christenheit daran, die Authentizität der Überlieferungen zu erforschen. Wohlgemerkt entschieden sie nicht über inhaltliche Fragen, sondern über die historische Echtheit der Schriftstücke. Stark vereinfacht ausgedrückt, entstand aus diesem Vorhaben schließlich die heutige Bibel. Das zweite große Ereignis dieses Jahrhunderts war die Legalisierung des Christentums durch Konstantin den Großen, woraus sich schließlich eine Staatsreligion entwickelte. Die katholische Kirche war geboren, wobei der Begriff "katholisch" übersetzt lediglich "allgemein" bedeutet. Dennoch war jene nie alleinige Vertreterin des Christentums. Abweichende Glaubensrichtungen gab es zu allen Zeiten, wenngleich sie oftmals ein heimliches Nischendasein führten.

Zur ersten großen Teilung der Kirchengeschichte kam es zwischen 867 und 1054. Dieser Vorgang wurde als Morgenländisches Schisma bekannt, da sich hierbei die orthodoxen Ostkirchen abspalteten. Der zweite große, auch in Europa spürbare, Einschnitt erfolgte in der Reformationszeit ab 1517. Der katholische Alleinvertretungsanspruch hinsichtlich des Christentums war damit gebrochen. In den folgenden Jahrhunderten entstanden stetig neue Lehrmeinungen und Glaubensrichtungen, übrigens nicht nur im protestantischen Lager. Einige verschwanden bald wieder, andere bestehen jedoch bis heute. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde die christliche Vielfalt durch drei große Erweckungsbewegungen noch einmal befeuert. Doch auch die dabei entstandenen Kirchen und Glaubensgemeinschaften erlebten wiederum Abspaltungen. Ein Prozess, der sich bis heute fortsetzt.

Eine Bibel – viele Lehren?

Für Atheisten und Religionskritiker ist genau diese Zersplitterung ein wichtiges Argument gegen die Echtheit christlicher Botschaften. Wie kann es sein, dass aus einer Bibel und den Lehren eines Religionsstifters so viele Glaubensrichtungen entstehen? Ein einfaches Beispiel zeigt allerdings auf, wie wenig stichhaltig diese Frage ist:

  • Bundesdeutsche Gesetzbücher sind wesentlich jünger als die Bibel und haben eine gut dokumentierte Entstehungsgeschichte. Dennoch benötigt man zu ihrem Verständnis ausgedehnte Kommentarwerke, um dann trotzdem zur Erkenntnis zu gelangen: Vier Juristen – fünf Meinungen. Sind Gesetze (und Menschen, die sie befolgen) deshalb grundsätzlich negativ zu bewerten?

Die Vielfalt christlicher Glaubensrichtungen basiert also auf unterschiedlichem Verständnis des Bibeltextes in Übersetzung und Auslegung. Weil Menschen immer wieder neue Gedanken zum festgeschriebenen Wort Gottes haben und sie bestimmte Bibelaussagen mehr gewichten als andere, dürfte die Zahl christlicher Glaubensgemeinschaften auch weiterhin zunehmen. Übrigens ergeht es den anderen monotheistischen, buchbezogenen Weltreligionen Islam und Judentum ebenso. Auch sie kennen diese Teilung, weshalb beispielsweise Pauschalurteile über den Islam nie völlig zutreffend sein können.

Vielfalt, die bereichern kann

Jeder Christ hat eine andere Erkenntnis zu bestimmten Bibelworten, was auf das Christentum in seiner Gesamtheit durchaus bereichernd wirken kann. Neue Denkrichtungen dürfen allerdings nicht nur Toleranz erwarten, sondern müssen sie auch selbst leben, um eine bereichernde Vielfalt in der Christenheit zu fördern. Schon im biblischen Ersten Korintherbrief wird bezeugt: "Unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk". Das christliche Hilfswerk Open Doors beispielsweise lebt diesen Gedanken der Einheit in Vielfalt konsequent aus und unterstützt verfolgte Christen jeglichen Bekenntnisses. Die zahlreichen Unterschiede zwischen den christlichen Lehren müssen also keineswegs nachteilig sein.

Quellenauszug:

Walter Eberhardt: Aufklärung und Pietismus, Union-Verlag Berlin, 1979

Bertelsmann Lexikon Geschichte, Gütersloh, 1996

Brockhaus Wissenswelten, Band 1, Gütersloh/München, 2011

So entstand die Bibel, CLV Bielefeld, 1987

Das große Bibellexikon, R. Brockhaus Verlag, Wuppertal / Brunnen Verlag, Gießen, 2004

Thompson Studienbibel, Hänssler Verlag, Holzgerlingen, 2006

Donky, am 20.02.2022
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Autor seit 12 Jahren
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