Ich denke, also bin ich

Das ist der bekannte und berühmte Satz des Philosophen René Descartes (1596 bis 1650), der so gerne zweifelte, um zu rationalen, vernunftorientierten Ergebnissen zu kommen: Cogito, ergo sum. Um zu denken, muss ein Ich sein. Das klingt einfach und plausibel. Ein Autor eines Textes ist heute aufgestanden, hat gefrühstückt und mittels eines Textverarbeitungssystems diesen Text erdacht. Der Autor hat ein (subjektives) Ego und der Text ist sein (äußeres, erkanntes) Objekt.

Im Alltag empfindet jeder Mensch, sich als Besitzer seiner Handlungen, Gedanken und Erfahrungen. Ich tue etwas. Ich habe eine Idee, meine Gedanken. Ich will etwas kaufen. Ich habe meine Erinnerungen, Erlebnisse und Zukunftspläne. Bildlich kann man sich das Ich also die Nabe eines Rades vorstellen, nämlich die Nabe, um die herum sich die Erfahrungen der Welt drehen. Das Ich wäre demnach das Subjekt der Erfahrung: Ich sehe die Sonne aufgehen. Ich gehe zur Arbeit. Ich sehe meine Eltern sterben. Das sich drehende Rad dreht sich weiter über die Zeitachse, die dann mein Leben heißt. Nach der Ego-Hypothese ist es dieses Ich, welches wesentlich an einer Person ist.

Diese Art zu denken, erscheint vollkommen natürlich und plausibel. Alles andere erscheint irgendwie verrückt. Betont wörtlich: ver-rückt.

Zweifel an Descartes

Aber wo und was ist dieses Ich? Wo war diese Person vor ihrer biologischen Geburt? War der Leser dieser Zeilen mit acht Lebensjahren derselbe wie heute? Was ist mit dem Ego nach dem Tod? Öffnet ein Chirurg den Schädel eines Menschen, findet er eine Masse aus Material. Eiweiße, Fette, letztlich Chemikalien und Atome. Analysiert ein Neurophysiologe die Gehirnmasse mit allen Methoden noch so moderner Wissenschaft sieht er: Nichts. Leere.

Buddhistische Psychologie

Mit diesem Nichts oder fehlendem Ich findet er etwas, was buddhologische Psychologie schon im 6. Jahrhundert vor unserer modernen Zeitrechnung erkannte. Im Anattavada aus dem Korb der Schriften (Suttapitaka), der buddhistischen Lehre von der Ich- oder Seelenlosigkeit wird dem Ich nur eine nominelle Existenz zugesprochen. Diese Hypothese wird durch die buddhistische Diagnose oder Analyse gestützt. Man findet nämlich nur einen Haufen flüchtiger Eindrücke, Skandhas genannt, deren es fünf gibt:

Körperlichkeit (Da ist ein Körper…)
Empfindung (Da ist Schmerz, Lust, Liebe …)
Wahrnehmung (Da ist Geruch, Farbe …)
Formende Kräfte (Da ist Wille, Wunsch, Vorstellung …)
Bewusstsein (Da ist Subjekt und Objekt …)

Wo in dieser Ansammlung, den Haufen, diesen Bündeln von Elementen ist die Person, ist ein Ich, ein Ego? So wie eine Ansammlung von Holzteilen als Wagen, Haus oder Tisch bezeichnet wird, nennen wir eine vor-gestellte oder ein-gebildetete Wesenheit Person, Ich, Ego. Jedes Atom, jedes Molekül einer Person ist kosmologisch vor der Geburt schon da. Während des vermeintlich individuellen ("unteilbaren") Ich-Daseins ist ständiger Wandel von Nahrungsaufnahme, Stoffwechsel und Ausscheidung. Nach dem Tod ist die Materie oder Energie weiterhin da. Ein Ich, ein Ego hat nie wirklich existiert. Die vermeintliche Kontinuität ist die einfache Kontinuität von Erinnerung.

Ego im Alltag

Für die meisten Menschen zerstreuen diese offensichtlichenTatsachen nicht die illusionäre Vorstellung eines Ego. Manche Psychiater und Psychologen meinen, würden die Menschen dieses Nicht-Ich bemerken, wäre existenzielle Angst und Chaos die Folge. Die Buddhalehre sieht in der Akzeptanz dieser Diagnose eine befreiende Wirkung.

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