Altwiener Schmankerln

Es gibt zwar ein Züricher Geschnetzeltes, aber keine Züricher Küche. Und auch London, Paris, Rom und Berlin müssen ganz ohne authentische Großstadtkreationen auskommen. Die Wiener Küche mit ihrer genialen Mischung aus bodenständigen Schmankerln und klassischen Köstlichkeiten ist dagegen seit jeher legendär.

"Man kann sich als Zugereister keine Vorstellung von der Schleckerey und Gefräßigkeit der Wiener machen, wenn man sie nicht selbst erlebt hat", notierte der Berliner Buchhändler Friedrich Nicolai in seinem Reisetagebuch anno 1781. Viel hat sich seither nicht geändert: Die Freuden des Gaumens und Magens sind bis heute der Lebensnerv des "echten" Wieners geblieben. Und sind so typisch wie die Treue des "echten Wienerherzes" zu den kulinarischen Klassikern seiner Stadt – von Kaiserschöberl bis zur  überbackenen Fledermaus, von Powidltascherln bis zum Mohr im Hemd.

Selbst fast vergessen Geglaubtes wie Kutteln und Hirn, Mandelkren und Semmelkoch, das anderswo in den letzten 50 Jahren von Speisekarten und aus Kochtöpfen verschwunden ist, wird in Wien noch aufgetischt.

Kein Wunder, meint Gault Millau-Herausgeberin Martina Hohenlohe, wird doch der Tagesablauf in der Haupt- und ehemaligen Residenzstadt seit jeher weniger von nüchterner Arbeit und freudloser Askese bestimmt, als vielmehr von der Lust an einem "guten Papperl". Und je üppiger die Globalisierung in der Küche um sich greift,  desto genussvoller feiert man in Wien die Renaissance von Knusprigem und Pikantem, Süßem und Saurem aus den ehemaligen habsburgischen Kronländern: ein g´schmackiges Potpourri, das weltweit seinesgleichen sucht.

Kruspelspitz & Hüferschwanzel

Siedfleisch gehört zu Wien wie die Geschichten vom Alten Kaiser, der Beinfleisch, Spitz und Tafelstück ebenso liebte wie Kruspelspitz und Hüfer­schwanzel. In zweiunddreißig verschiedene Stücke konnte ein guter Fleischhauer einen Ochsen noch zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zerlegen, und eine gestandene Hausfrau erkannte auf den ersten Blick, ob ihr ein Mageres Mäuserl oder ein Dünnes Kügerl, ein Weißes Scherz oder ein Dicker Bug angeboten wurde. "Gekochtes Rindfleisch", schrieb der Gourmet-Philosoph Joseph Wechsberg mit gutem Grund, "ist die Seele der Wiener Küche."

Die einfachste Variante dieses "Soul-Food" war das klassische Tellerfleisch, das man in der Hochblüte der Siedfleischkultur nur zwischen den Mahlzeiten, quasi als "Snack", aß. In der üppigen Spielart wurde daraus ein dreigän­giges Rindfleischmenü: Zum Auftakt ein Teller Suppe mit Grieß­nockerln, Fleischstrudel oder Fritatten. Danach das Fleisch samt Apfelkren, Schnittlauchsauce, Erdäpfel­schmarren und Gemüsebeilage sowie zum Abschluss Schwarzbrottoasts und Markscheiben – ganz so, wie es auch heute noch in Rindfleischtempeln à la Plachutta & Co. serviert wird.

Radetzkys Souvenir

Ein Klassiker ganz anderer Art ist das Wiener Schnitzel. Das Echte, wohlgemerkt. Aus Kalbfleisch muss es sein, dünn, goldgelb und knusprig ausgebacken. In vielen Familien gehört es zum Sonntag wie das Amen zum Gebet. Denn, so Wechsberg: "Wenn das Rindfleisch die Seele der Wiener Küche ist, so ist das Wiener Schnitzel ihr Herz."

Und das, obwohl die panierte Köstlichkeit in Wahrheit eine Erfindung der Byzantiner ist und erst via Venedig und Mailand den Weg an die Donau gefunden hat. Feldmarschall Radetzky lernte 1848 das panierte Kotelett kennen – und lieben. Kaum nach Wien gebracht, wurde das Rezept von den lokalen Wirtshausköchinnen blitzschnell adaptiert: Statt Koteletts nahmen sie Kalbsnuss, statt Weißbrot altbackene Semmeln, und um die Panier haltbarer zu machen, kam eine zarte Schicht Mehl aufs Fleisch. Das "Echte Wiener" war geboren – und startete nun seinerseits einen Siegeszug um die Welt, den sich der gute alte Radetzky wohl nicht hätte träumen lassen.

Wiener Würste(l)

Wann immer den Wienern das Geld für einen saftigen Braten ausging, doch die unbändige Lust auf Fleisch gestillt werden wollte, griffen sie zur Wurst. Mit "Durri, durri" (Harte, Harte!) priesen die mobilen "Salamucci", die italienischen Salamiverkäufer, ihre Ware auf offener Straße an. Dazu gab's bei den Fleischhackern Selch- und Extrawürste, Leber- und Blutwürste, Knacker und Presswurst.

Doch an die berühmteste Wurst aus Wien erinnert nur mehr im deutschen Ausland der Name: Dort wird als "Wiener" angeboten, was anderswo "Frankfurter" heißt. Tatsächlich brachte Johann Georg Lahner, der in Deutschland eine Metzgerlehre absolviert hatte, 1805 seine ersten "Wiener Frankfurter Würstel" auf den Markt und löste damit in der Kaiserstadt einen wahren Würstel-Run aus. Selbst die bessere Gesellschaft ersetzte das klassische Gulasch zum Gabelfrühstück durch ein Paar Frankfurter mit Senf und Kren. Und auch zweihundert Jahre später gilt ein Paar Sacher-Würstel, knackig und schlank, von einem zarten Rauchgeschmack umgeben, als idealer Abschluss für eine durchtanzte Ballnacht, als leichter Imbiss zwischen zwei Geschäftsterminen und last, but not least, als herrlicher Brunch für Spätaufsteher.

Leckermäulchen & Mehlspeistiger

Wohl nirgendwo sonst haben Mehlspeisen einen derart hohen Stellenwert wie in der ehemaligen Residenzstadt Wien. Aus allen Teilen der Monarchie, von Galizien und Siebenbürgen im Osten, Böhmen und Mähren im Norden und Bosnien und Dalmatien im Süden, wurden die süßen Köstlichkeiten zusammengetragen. Die kalorienreiche Palette reicht von A (wie Apfelstrudel) über K(ipferlauflauf), L(iwanzen), M(ohr im Hemd), P(alatschinken) und S(cheiterhaufen) bis zum saftigen Z(wetschkenfleck).

Einen ganz besonderen Stellenwert nimmt im Herzen (und Magen) der Wiener allerdings der Marillenknödel ein, den die meisten mit süßen Kindheitserinnerungen verbinden. Denn sobald der Nachwuchs hierzulande feste Nahrung zu sich nehmen kann, stehen die flaumig-zarten Kugeln mit der zimtig angehauchten Bröselhülle am Speisplan. Und so mancher Erwachsene denkt sehnsüchtig an die Zeit zurück, wo bei jedem großmütterlichen Besuch Marillenknödel-Wettessen am Programm stand. Bauchgrimmen inklusive. Das man – als Erwachsener – allerdings vermeiden kann, wenn zum Marillenknödel ein gutgefülltes Glas Marillenbrand genossen wird. Vorzugsweise aus der Wachau. Denn die Wachauer Marille wurde nicht umsonst am 12. Juni 1996 als erstes österreichisches Produkt in den erlauchten Kreis jener Obstsorten aufgenommen, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit eine EU-weit geschützte Herkunftsbezeichnung tragen dürfen.

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