Seriöse Presse: Griff zur Effekthascherei

Mit dem rasanten Aufstieg des Internet ging gleichzeitig ein Abstieg der Zeitungslandschaft einher. Kein Wunder also, dass Zeitungen und Magazine noch marktschreierischer um Leser buhlen. Für Presseerzeugnisse aus dem Yellow-Press-Bereich ist die Lage zwar ebenfalls problematisch, doch immerhin können sie auf jahrzehntelange Erfahrung im aggressiven Bewerben ihrer Produkte zurückgreifen. Egal, ob ein Deutscher Papst geworden ist, ein gerade angesagtes Popsternchen mit Jemandem gesehen wurde, der nicht ihr Ehemann ist, oder aus Afrika oder Asien angeblich eine neue Superseuche droht: Die Yellow Press erschlägt ihre Leser mit Skandalen, Sensationen oder Panikmache.

Damit hätten wir auch bereits den feinen Unterschied zwischen Yellow Press und "seriöser" Presse erklärt. Prinzipiell, denn selbst vorgeblich hochseriöse Nachrichtenmagazine greifen in den letzten Jahren verstärkt zum Mittel des Aufbauschens und Skandalisierens. Auf ironische Weise bereits legendär geworden sind die "Spiegel"-Cover mit einem Bild von Adolf Hitler oder unliebsamen Zeitgenossen, die ihm angeblich nahe stünden. Besonnener Journalismus täte zwar Not, scheint beim Leser jedoch nicht mehr anzukommen: Effekthaschende Cover und reißerische Schlagzeilen scheinen das Gebot der Stunde zu sein. Dabei zeichnete gerade dies die Yellow Press aus.

"Ach, das ist interessant ...

"Ach, das ist interessant, Hans-Dieter: Hier steht, dass glückliche Ehepaare jeden Tag mindestens tausend Worte wechseln" - "Aha" (Bild: https://pixabay.com)

Allerdings muss man hierbei zwischen zwei Formaten unterscheiden: Der berühmt-berüchtigten Regenbogenpresse, auch bekannt als "Klatschzeitschriften", und den Boulevardzeitungen. Die Grenzen sind fließend, als Faustregel könnte man anführen, dass Boulevardzeitungen wenigstens ansatzweise Journalismus auf Faktenbasis bieten und sich nicht fast ausschließlich Gerüchten, Tratsch ("wie es aus gut informierten Kreisen heißt" – mit anderen Worten: Hat irgendjemand gesagt und kann stimmen, oder auch nicht) zigfach aufgewärmten Storys und belanglosen Interviews widmen. Eine reißerische Schlagzeile deutet somit nicht automatisch auf eine Klatschzeitung hin.

Billiges Papier = Yellow Press?

Doch woher kommt nun der Begriff der Yellow Press? Der bunten Blättchen wegen? Vielleicht, so man der bekanntesten Erklärung Glauben schenken mag. Insbesondere in ihrer Anfangszeit wurden Klatsch- und Boulevardzeitungen auf möglichst billigem Papier gedruckt, das gelblich schimmerte. Auch die Groschenromane bedienten sich aus dem Fundus des Billigstpapiers. Genauso billig wie das Papier war oftmals auch der betriebene journalistische Aufwand. Eine andere Erklärung besagt, dass der Begriff auf einen Comicstrip-Serie zurückgeht, "The Yellow Kid", Ende des 19. Jahrhunderts in der "New York World" erstmals erschienen. Besagtes Kid wurde in Gelb gezeichnet und mit sehr simpler Sprache ausgestattet. Aus dem Zusammenspiel "Gelb" und " sich eher an Unterschichten wendend" wurde der Sammelbegriff Yellow Press erschaffen, um damit einen Kontrast zu den mehr oder weniger seriösen Presseblättern zu bilden.

Gar so neu, wie man bei dieser Art des oftmals übertriebenen oder auf Gerüchten basierenden Journalismus vermuten möchte, ist das Phänomen nicht. Ganz im Gegenteil: In früheren Jahrhunderten war die Mischung aus halbwegs seriöser Berichterstattung, puren Erfindungen oder Propaganda kaum zu trennen. Berühmt – oder vielmehr berüchtigt – sind die Berichte über die schottische Kannibalenfamilie des Sawney Bean, die Eingang in einem englischen Vorläufer der Klatschpresse fanden. Ob dieser überhaupt existierte und es sich nicht vielmehr um englische Propaganda gegen die "schottischen Barbaren" handelte, bleibt unklar. Interessant ist freilich, dass selbst seriöse Zeitungen und Magazine mit ganz offensichtlich erfundenen Sensationsgeschichten die Konkurrenz ausstechen wollten. Was heute für Empörung und einen "Skandal" sorgen würde – siehe etwa die gefälschten "Hitler-Tagebücher" -, galt früher als völlig normales Geschäft, etwa wenn 1897 über einen UFO-Absturz in Aurora (Texas) berichtet wurde, bei dem der außerirdische Insasse getötet und auf dem Friedhof beigesetzt worden sei.

Kriegstreibende Yellow Press

Natürlich handelte es sich bei der Yellow Press nie um ein rein amerikanisches Phänomen. Ein gewisser Grigori Jefimowitsch Rasputin beispielsweise entzückte die russische Presse, indem er Anlass für allerlei Klatsch und Tratsch bot. Perfekt wurde der Skandal rund um den noch heute kontrovers diskutierten Rasputin am 25. März 1915, als er sich in einem Restaurant völlig gehen ließ, was die Presse begeistert dokumentierte. In weiterer Folge wurde die Berichterstattung über Rasputin, der die Zaren-Familie in den Augen der Öffentlichkeit blamierte, untersagt. Verstieß eine Zeitung dagegen, konnte sie von den Behörden geschlossen werden.

Yellow-Press-König William Randolph Hearst (Bild: https://pixabay.com)

Nicht immer waren die Schlagzeilen und Berichte der Yellow Press dermaßen harmlos und lediglich ein Ärgernis für die Autoritäten. Als Paradebeispiel dafür, wie die Yellow Press die öffentliche Meinung manipulieren und sogar den Weg zu einem Krieg bereiten kann, dient Zeitungsmogul William Randolph Hearst. Diesem war wie so manchen anderen Amerikanern der Besitz Kubas durch Spanien ein Dorn im Auge. Am 15. Februar 1898 war endlich der passende Anlass gefunden: Das im Hafen der kubanischen Hauptstadt Havanna ankernde Schlachtschiff USS Maine explodierte, wobei 268 Besatzungsmitglieder ums Leben kamen. Für die US-Regierung war klar, dass Spanien einen heimtückischen Anschlag verübt hatte.

Auch wenn bis heute ungeklärt ist, wer oder was die Explosion ausgelöst hatte – es könnte sich um einen tragischen Unfall gehandelt haben -, gab Hearst an seine zahlreichen Zeitungen die Losung aus, Spanien zu beschuldigen. Eine effekthaschende Schlagzeile war rasch gefunden: "Remember the Maine, to hell with Spain!". Wohl kaum zufällig war einer seiner Reporter in Havanna anwesend, nachdem ihm Hearst aufgetragen hatte: "You furnish the pictures. I'll furnish the war" (Liefern Sie die Fotos, ich liefere den Krieg).

Orson Welles ärgert Yellow-Press-Mogul Hearst

Yellow-Press-König William Randolph Hearsts Geschäftsgebaren blieb freilich nicht ohne Kritiker. Ein gewisser Orson Welles erdreistete sich, eine ganz offensichtlich an Hearst angelehnte fiktive Biographie eines skrupellosen Medienmoguls zu drehen. Der Name des Films: "Citizen Kane". Der erzürnte Hearst ließ fortan keine Möglichkeit verstreichen, dem unverschämten Orson Welles Steine in den Weg zu legen. Er lancierte eine Kampagne gegen den Film und soll sogar die Oscar-Verleihung 1942 dahingehend beeinflusst haben, dass der Streifen aus neun Nominierungen nur eine einzige Auszeichnung erhielt. "Citizen Kane" floppte an den Kinokassen und Welles‘ Karriere sollte nie so richtig in Gang kommen.

Orson Welles (Bild: https://pixabay.com)

Orson Welles' Meisterwerk "Citizen Kane"
Citizen Kane
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Clickbaiting? Hier wird nicht gebettelt!

Das heutige Internet bietet übrigens ein Web-Äquivalent zur Yellow Press. Dieses wird als "Clickbaiting" (Klickködern) bezeichnet, und verglichen damit, erscheinen oft selbst Klatsch- und Boulevardzeitungen fast schon angenehm zurückhaltend. Mit möglichst reißerischen oder rührenden Überschriften wird der Leser auf die beworbene Website gelockt. Was anfangs spektakulär oder sogar hilfreich klingen mag, entpuppt sich für gewöhnlich als mit heißer Nadel gestrickt, mitunter auch schon mal als ziemlich dreist verbogene Wahrheit.

Leider gilt auch hier, dass sich so manches durchaus seriöse Magazin genötigt sieht, zu derlei Methoden zu greifen. Was den Zeitungen die Auflage, ist den Web-Magazinen die Klickrate. Und auch hierbei gilt: Der Zweck heiligt die Mittel! Wenn Sie mir diese persönliche Anmerkung gestatten: Solche unseriösen Methoden könnten wir, die Konsumenten, stoppen, indem wir uns dem Clickbaiting konsequent verweigerten. Natürlich ist dies leichter gesagt als getan, wenn ums Eck bereits die nächste verheißungsvolle Schlagzeile wartet. Aber in Abwandlung von William Randolph Hearsts berühmten Zitat: Mögen sie die Schlagzeilen liefern, müssen wir weder den Kauf, noch den Klick liefern.

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