Nennt ihn Kurt! Kurt Russel!

Freiluftgefängnis Manhattan

Trübe Aussichten im KnastWir schreiben das Jahr 1997: Ganz Manhatten wurde zum gigantischen Gefängnis umfunktioniert, indem eine unüberwindbare Mauer um die Insel herum errichtet wurde, auf der ausschließlich Verbrecher leben. Da es keine Aufseher gibt, regiert das Gesetz des Stärkeren. Ausgerechnet über Manhattan wird die Air Force One, die Maschine des US-Präsidenten (Donald Pleasence), von linksextremen Spinnern zum Absturz gebracht.

Zwar überlebt der Präsident, fällt aber den skrupellosen Schwerverbrechern unter Führung des charismatischen Duke (Soul-Legende Isaac Hayes) in die Hände.  Zu allem Überfluss droht der Dritte Weltkrieg, den nur der amerikanische Präsident, der im Besitz einer Audiokassette mit streng geheimen Informationen ist, noch verhindern kann.

Nur einer scheint geeignet, die heikle Mission zur Befreiung des Präsidenten durchführen zu können: Ex-Elitesoldat Snake Plissken (Kurt Russell), mittlerweile selbst in Ungnade gefallen und deshalb reif für die Insel. Als Motivationshilfe lässt ihm Einsatzleiter (Lee van Cleef)  Sprengkapseln einpflanzen, die nach Ablauf von 24 Stunden explodieren, sofern sie nicht von seinen Spezialisten entschärft werden. Notgedrungen willigt Snake ein und begibt sich mit einem Segelflugzeug nach Manhattan.

Rasch lernt er nicht nur die tödlichen Gefahren der Verbrechensmetropole kennen, sondern auch den Taxifahrer Cabbie (Ernest Borgnine), der angeblich jemanden kennt, der ihn zum Duke bringen kann. Dabei werden Snake sämtliche Überlebenskünste abverlangt. Unerbittlich verrinnt die Zeit für ihn, wie auch für die im Schatten eines drohenden Atomkrieges harrende Welt

John Carpenters Science-Fiction-Kracher "Die Klapperschlange"

Je höher der Aufstieg, desto tiefer der Fall. Wie kaum ein anderer Regisseur, kann John Carpenter ein Liedchen davon trällern. Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre war er die heißeste Aktie auf dem Horrorfilmemarkt. 1978 schuf er mit "Halloween – Die Nacht des Grauens" nicht bloß den Klassiker des Slasher-Genres, sondern verbuchte einen der bis heute kommerziell erfolgreichsten Filme in Relation des Budgets zum Einspielergebnis überhaupt. Alleine in den USA spielte der Horrorstreifen das 145-fache des Budgets ein.

Mit "The Fog – Nebel des Grauens" verzeichnete er ein Jahr später den nächsten Blockbuster, dito 1981 mit dem düsteren Science-Fiction-Kracher "Die Klapperschlange". Danach folgten größtenteils Flops, von denen es nur noch "Das Ding aus einer anderen Welt" zum Klassiker schaffte.

Der verzweifelte Versuch im Jahr 1996, mit "Flucht aus L.A." sich mittels des Kultstatus der "Klapperschlange" an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen, scheiterte, und spätestens mit dem außerirdisch miesen "Ghosts of Mars" hatten selbst getreue Carpenter-Fans aufgegeben, auf ein Comeback ihres Idols zu hoffen.

Wie die Faust aufs Auge: Zynischer Schlussgag

Werfen wir deshalb den Blick zurück in eine Zeit, als John Carpenter ein Meisterwerk nach dem nächsten aus dem Ärmel schüttelte, anstatt peinlichen Trash abzuliefern. Gerade "Die Klapperschlange" kann als Paradebeispiel für die Stärken des gebürtigen New Yorkers erachtet werden. Ins Auge sticht zunächst die geradlinige Story selbst: Ein Held muss sich in eine Welt voller Gefahren begeben und allerlei tödliche Fallen und Mordanschläge überleben. Das ist weder neu, noch originell.

Aber Carpenter variierte das altbekannte Motiv auf äußerst clevere Weise: Der Protagonist ist kein Held im klassischen Sinne, sondern eine zwielichtige Gestalt, die möglicherweise so Einiges auf dem Kerbholz hat. Über Plisskens Lebensgeschichte hält sich der Film zum Glück bedeckt und fügt seiner Aura der Unnahbarkeit eine weitere Schicht hinzu.

Gerettet werden muss zudem keine zierliche Schönheit oder ein mysteriöser Gegenstand, sondern der Präsident der USA. Sein Gral ist eine Audiokassette mit wichtigen Botschaften, die einen drohenden nuklearen Krieg verhindern kann. Und so viel kann, darf und muss verraten werden: Diese Kassette wird eine tragende Rolle in einem der gleichermaßen zynischsten, wie besten Schlussgags der Filmgeschichte bilden.

Vom Kinder- zum Actionstar: Kurt Russel

Snake Plissken ist kein Auserwählter im Kontext etlicher Fantasy-Romane oder antiker Heldenepen. Er handelt wider seine Überzeugung und muss mittels implantierter Sprengkapseln gezwungen werden, seine unmöglich scheinende Mission anzutreten. Dabei tritt seine Misanthropie bei nahezu jeder seiner Handlungen und den wenigen Dialogzeilen klar zutage.

Ausgerechnet ihn mit der Rettung der Menschheit zu betrauen, wirkt paradox. Dabei wächst er nicht mit den Aufgaben – vielmehr stacheln die tödlichen Gefahren in Manhattan seine Abscheu vor Seinesgleichen an. Kein Wunder: Sowohl blanker Sadismus, als auch Kannibalismus empfangen ihn in der Gefängnishölle, die in ihrer Symbolik der Todesstreifen, verminten Straßen und unüberwindbar hohen Mauern an den antifaschistischen Schutzwall erinnern.

 Der Ironie nicht genug, besetzte Carpenter die Hauptrolle ausgerechnet mit Ex-Kinder- und Disney-Star Kurt Russell. Selbst in der Auswahl der Schauspieler bewies der Regisseur ein begnadetes Händchen: Soul-Ikone Isaac Hayes als charismatisch fieser Gegenspieler Duke, Harry Dean Stanton ("Alien"), Donald Pleasance ("Helloween") als schmieriger Präsident, Lee van Cleef, der kürzlich verstorbene Ernest Borgnine und Adrienne Barbeau ("The Fog") bildeten ein spektakuläres Star-Aufgebot des Genres. Dabei vermied es Carpenter stets, einen ganz großen Hollywoodstar zu verpflichten und umgab sich mit bewährten Mimen, die er immer wieder castete. Alleine Kurt Russel wirkte in vier John-Carpenter-Filmen mit.

Stilistisch ist "Die Klapperschlange" über jeden Zweifel erhaben: Düster, mit gotischem Schick (Kandelaber als Scheinwerfer-Ersatz bei einem Auto!) versehen, makaber und zynisch. Dreckiger und hoffnungsloser wurde die Zukunft selten in Szene gesetzt, als in diesem Klassiker, der durchaus als Vorstudie zum seinerzeit leider völlig unterschätzten "Das Ding aus einer anderen Welt" verstanden werden. Lediglich der Blick fokussierte sich weg vom Mega-Gefängnis zum Mini-Knast in der Antarktis. Hier wie dort vermochte nur der Stärkste zu überleben – im einen Fall skrupellose Strafgefangene, im anderen paranoide Wissenschaftler, unter denen sich ein außerirdischer Parasit befindet.

"Die Klapperschlange": Bissig wie der "Terminator"

Abgerundet wird das düstere Spektakel vom typischen Synthi-Klangteppich, gewoben von John Carpenter höchstpersönlich. "Die Klapperschlange" ist zweifellos nicht nur einer seiner besten Filme, sondern einer der besten Science-Fiction-Streifen überhaupt; sowohl ein Vorläufer der Cyberpunk-Ära, als auch ein mutiger Gegenentwurf zur fröhlich-poppigen "Star Wars"-Manie.

Den einzigen bösen Schnitzer leisteten sich die deutschen Übersetzer: Snake Plisskens sich aus der Lendengegend ("Ist das eine Schlange in deiner Hose oder freust du dich nur, mich zu sehen?") schlängelndes Reptil ist keine Klapperschlange, sondern eine handelsübliche Kobra. Andererseits: "Die Kobra" klingt weniger aufregend als "Die Klapperschlange". Im Zweifel für die Integrität der Übersetzer!

Fazit: "Die Klapperschlange” ist nicht einfach bloß ein Kultfilm, sondern ein Science-Fiction-Meisterwerk der 1980er Jahre in der Liga eines "Terminator" oder "Aliens – Die Rückkehr". Die Tricktechnik mag sich seither gewaltig verbessert haben: Mit der Coolness eines Snake Plissken, den düsteren Bildern eines in die Hände des kriminellen Mob gefallenen Manhattan oder dem simplen, effektiven Score können "Transformers" & Co nicht ansatzweise mithalten. Früher war nicht alles besser. Ausgenommen John Carpenters Filme.

Originaltitel:John Carpenter's Escape from New York

Regie: John Carpenter

Produktionsland und -jahr: USA, 1981

Filmlänge: ca. 95 Minuten

Verleih: Highlight

Deutscher Kinostart: 3.9.1981

FSK: Freigegeben ab 16 Jahren

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