Überlistet Scorpio Dirty Harry?

Er bringt keine Blümchen in den Haaren, sondern Tod und Schrecken nach San Francisco. Er, das ist der psychopathische Serienkiller Scorpio (Andrew Robinson), der die Stadt mit seiner Forderung nach 100.000 Dollar erpresst. Andernfalls werde er jeden Tag einen Menschen – Priester und Schwarze bevorzugt – abknallen. Den Worten lässt er Taten folgen und schon bald gibt es den ersten Toten zu beklagen. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen setzt der Bürgermeister (John Vernon) den in seinen Fahndungsmethoden umstrittenen Detective Callahan (Clint Eastwood) mitsamt seiner 44-er Magnum auf Scorpio an. Seinem neuen Partner Chico Gonzales (Reni Santoni) wird rasch klar, weshalb man Callahan "Dirty Harry” nennt: Weil er im Dreck wühlt, anstatt sich hinterm Schreibtisch zu verkriechen und die Verbrecher in Ruhe zu lassen.

Doch selbst der zynische, knallharte Callahan scheitert an der Aufgabe, Scorpio dingfest zu machen. Dieser ist einfach zu schlau und abgebrüht, um sich so einfach erwischen zu lassen. Unbekümmert dreht er den Spieß um und schickt "Dirty Harry" bei der Geldübergabe auf Schnitzeljagd durch die halbe Stadt, nachdem er ein Mädchen entführt und mit ihrem Tod gedroht hat. Callahan gelingt es zwar, den Psychopathen zu verletzen und sich an dessen Spur zu heften. Doch das entführte Mädchen kann nur noch tot geborgen werden: Scorpio hatte es zuvor geschändet und in einem Erdloch lebendig begraben, wo es qualvoll erstickte. Obwohl er von Callahan gestellt und überwältigt wird, muss er auf Grund juristischer Spitzfindigkeiten wieder freigelassen werden und setzt nun seinerseits alles daran, den Detective fertigzumachen …

Clint Eastwoods Paraderolle

Vom Spaghettiwestern- zum Actionhelden

Ausgerechnet die Blüte der Hippie-Ära brachte den Klassiker des Cop-Thrillers schlechthin hervor, der wiederum einen gewissen Clint Eastwood zum Superstar machte. Bis "Dirty Harry" war der wortkarge Kalifornier als Star diverser Spaghetti-Western bekannt, in Hollywood selbst aber noch nicht die ganz große Nummer. Dies sollte sich mit seiner Verkörperung des Detective Callahan drastisch ändern. Die zuvor unter anderem John Wayne und Frank Sinatra angebotene Rolle erwies sich als auf seinen schlaksigen Leib geschnitten. Eigentlich wenig verwunderlich, hatte er sich doch bereits zuvor als unnachahmlich cooler Westernheld einen Namen geschaffen. Straßenanzug statt Poncho, Polizeiwagen statt Pferd, und fertig war der Großstadt-Cowboy im Dienste der gerechten Sache!

Der noch heute umstrittene Actionfilm "Dirty Harry" brillierte mit verstörendem Zynismus, coolen One-Linern - "Make my day!", "Are you feeling lucky, Punk?" - grimmigem Humor (einen minderjährigen Schwulen, der fürchtet, von ihm verhaftet zu werden und entsetzt ausruft, er werde sich aufhängen, bittet er, er möge dies zu Hause zu erledigen) und einem provokanten, durchaus nachdenklich stimmenden Plot. Auf den ersten Blick handelt es sich bei dem von Don Siegel inszenierten Streifen um einen actionlastigen Krimi. Doch spätestens bei jener berühmt-berüchtigten Szene, in der Callahan den verletzten Scorpio foltert, beginnt der Zuschauer an der klassischen Rollenverteilung zu zweifeln: Ist der vermeintlich Gute moralisch im Recht, dem Bösen Schmerzen zuzufügen, um Informationen herauszupressen? Man bedenke bei dieser Frage den historischen Kontext mit Hippie-Schwärmereien einer friedlichen Welt, wenn man sich diese nur fest genug herbeiwünsche, harmlosen Komödien oder auf die Leinwand halluzinierte Drogentrips. Wie subversiv muss ein solcher Film in dieser Phase des Erwachsens aus den Flower-Power-Träumen gewirkt haben!

 

Böses tun, um Gutes zu bewirken: Dirty Harry

San Francisco Cable CarsIn seinem dramaturgischen Aufbau erinnert Don Siegels "Dirty Harry" an einen klassischen Dreiakter: Anfangs werden der Protagonist und der Antagonist eingeführt, ihre Weltsichten dargelegt sowie die Kreuzung vorgezeichnet, an der sich ihre Wege treffen werden. Im zweiten Akt beginnen eben diese Wege ineinanderzufließen. Scorpios Verbrechen rufen eine Reaktion der Polizei hervor, die ihren besten, wenngleich umstrittensten Mann auf ihn ansetzt. Die Auflösung des Konflikts ist aus Spannungsgründen nicht in Sicht, ganz im Gegenteil: Der Antagonist zieht sich clever aus den Fallgruben und versteht es seinerseits, den Helden in Zugzwang zu bringen. Im dritten Akt schließlich kumulieren die Ereignisse in einem unerbittlichen Showdown, der nicht zufälligerweise an einen Western erinnert, ohne dessen meist klar definiertes Happyend zu bieten. Auch wenn "Dirty Harry" diesen Showdown für sich entscheidet – wie wohl jedem Zuschauer angesichts von nicht weniger als vier Fortsetzungen ohnehin klar sein dürfte -, so handelt es sich doch um einen Pyrrhussieg: Um das Böse zu besiegen, muss der "Gute" Böses tun. Ein interessanter moralischer Konflikt, um den sich viele andere Actionfilme geflissentlich drücken.

 

Do you feel lucky, Punk?

Im Rahmen seiner Möglichkeiten, den Abschaum von den Straßen zu waschen, erweist sich Callahan als Kapazität. Doch niemandem ist besser bewusst als ihm, wie vergeblich sein Kampf letzten Endes ist. An Stelle des in der ikonischen Anfangssequenz ("Are you feeling lucky, Punk?") erschossenen Bankräubers wird ein anderer Gauner nachrücken und selbst Scorpios Untaten werden nicht einzigartig bleiben, genauso wenig, wie Callahans aufopfernder Einsatz irgendetwas an den systemimmanenten Ungerechtigkeiten ändern wird. So gesehen erscheint sein anfangs psychisches, später um Leib und Leben ritterndes Duell gegen den Psychopathen Scorpio wie eine Rechtfertigung seiner Selbst, ein unwesentliches Rädchen im Gefüge darzustellen.

Cover "Dirty Harry"Die Figur des Scorpio, die auf dem echten "Zodiac-Killer" basiert, der in den 1960er Jahren fünf Menschen erschoss und nicht gefasst werden konnte, ist ein geradezu archetypischer Antagonist: Er tötet aus Leidenschaft und Liebe zum Schmerz seiner Opfer. Mit "normalen" Rechtsmitteln ist ihm nicht beizukommen, weshalb sich Callahan bei seiner Jagd auf ihn mitunter ungesetzlicher Methoden bedienen muss. Für den Zuschauer stellt sich die Frage: Wie kann man einem solchen Monster beikommen? Die Antwort ist ernüchternd: Man kann es nur vernichten oder einsperren und somit die Gesellschaft vor seiner Bestialität beschützen. Dabei tänzelt die Exekutive auf einem Drahtseil: Schlägt sie unerbittlich hart zu, wird ihr Aushöhlung des Rechtsstaates vorgeworfen; behandelt sie Verdächtige wie rohe Eier und hält jeden Dienstweg penibel ein, spielt sie gewissenlosen Gewaltverbrechern in die Hände, die sich keinen Deut um Moral oder Menschlichkeit scheren.

Sind Dirty Harrys Methoden zulässig für die Verbrechensbekämpfung?

Drehbuch von "Waffennarr" John Milius

Golden Gate BridgeOb sich nun Regisseur Don Siegel auf die Seite Callahans schlägt oder seine Methoden der Verbrechensbekämpfung ablehnt, bleibt im Dunkeln. Immer wieder distanziert sich die Kamera vom Protagonisten, der in manchen Posen wie eine mit Straßenanzug und Sonnenbrille bekleidete antike Statue wirkt. Der Vorwurf der Gewaltverherrlichung prallt somit wirkungslos vom Leinwandwerk ab, da keine eindeutige Stellung bezogen wird. Das Motiv der Selbstjustiz durchzieht den Streifen freilich wie ein Roter Faden und kann somit als Vorstudie zu kontroversiellen Filmen wie "Ein Mann sieht rot", "Ich spucke auf dein Grab" oder "96 Hours" verstanden werden. Wasser auf die Mühlen jener, die in "Dirty Harry" ein menschenverachtendes Plädoyer für Polizeibrutalität sehen, war die Mitarbeit von John Milius.

Dieser zeichnete als Regisseur unter anderem für "Conan der Barbar" und insbesondere den in Deutschland von links-utopistischen GutmenschInnen verhassten und erfolgreich aus einigen Kinos wegdemonstrierten "Die rote Flut" verantwortlich. Der Umstand, dass Milius das ist, was man hierzulande gerne als "Waffennarr" dämonisiert, hilft natürlich ungemein, Don Siegels "Dirty Harry" ins, nun ja, rechte Licht zu rücken. Allerdings hieße dies, Altmeister Siegel zu verkennen, der geradezu als Synonym für Vielseitigkeit gelten kann. Kaum ein Genre, das er nicht mit großem Erfolg beackert hätte: Neben Actionfilmen drehte er Western, Dramen, Komödien, Kriegsfilme und mit "Die Dämonischen" (bekannter unter dem Originaltitel "Invasion of the Body Snatchers") einen Science-Fiction-Klassiker, der bis dato drei (!) Remakes erfahren hat.

Gewiss: Die Actionszenen mögen heute etwas altbacken und merkwürdig "langsam" inszeniert wirken. Von den Schnitt- und CGI-Orgien zeitgemäßer Werke ist ein solcher Film natürlich Lichtjahre entfernt. Dafür entschädigen die Spannung, die stets bedrohliche Atmosphäre und die coolen Sprüche, weshalb "Dirty Harry" auch jüngeren Generationen noch ans Herz gelegt werden kann. Schauspielerisch ist ohnedies nichts zu bemängeln: Der damals knapp 40-jährige Clint Eastwood brilliert als zynischer Cop und wird von einem großartigen Andrew Robinson als widerwärtiger, in seiner Abscheulichkeit dennoch faszinierender Bösewicht kongenial unterstützt. Fun Fact am Rande: Für den pazifistischen und sensiblen Andrew Robinson lag die größte Schwierigkeit darin, einen gewissenlosen Killer, Vergewaltiger und Rassisten zu verkörpern.

Der enorme Erfolg zog naturgemäß mehrere Sequels nach sich, von denen keines die moralische Zerrissenheit und mechanische Opulenz des Originals erreichen konnte und in "Dirty Harry III – Der Unerbittliche" einen fast streichelweichen Callahan am Rande der Verliebtheit porträtierte. Die Vergleiche mit den Sequels machen sicher: Unterhaltung bieten alle Filme der Reihe, doch nur Teil 1 vermag vollends zu überzeugen! Überraschen mag in diesem Zusammenhang, dass es trotz jahrelanger Gerüchte noch zu keinem Remake gelangt hat. Andererseits: Wer sollte allen Ernstes Clint Eastwood in seiner Paraderolle ersetzen? Verpassen Sie nicht die Antwort auf diese Frage wenn es früher oder später heißen sollte: "Diese Wahnsinnigen haben es schon wieder getan!"

Originaltitel: Dirty Harry

Regie: Don Siegel

Produktionsland und -jahr: USA, 1971

Filmlänge: ca. 102 Minuten

Verleih: Warner Home Video

Deutscher Kinostart: 10.3.1972

FSK: Freigegeben ab 16 Jahren

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