Was gut gemeint war, endet in der Beliebigkeit

Seit 1971 küren der Naturschutzbund Deutschlands (NABU) und der bayerische Landesbund für Vogelschutz (LBV) den Vogel des Jahres. Das war eine gute Idee, die einigen Vogelarten sehr gut bekam, weil sie in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit rückten. Das half dem Spatz genauso wie dem Storch, dem Pirol und der Lerche, schützte ihren Lebensraum und diente somit ihrer Arterhaltung.

Zum Vogel des Jahres kamen noch die Pflanze des Jahres und das Tier des Jahres hinzu und weckte somit den Naturschutzgedanken in den Bevölkerung.

Angesichts der heutigen Flut von Verlautbarungen diverser Organisationen kommt stark der Verdacht auf, dass nicht einige Organisationen gefährdete Rassen und Arten aus der Tier- und Pflanzenwelt der Bevölkerung nahe bringen und zu ihrem Schutz aufrufen wollen, sondern die Heraushebung bestimmter Tier- oder Pflanzenarten nur der Steigerung der eigenen Bekanntheit dient und das genannte Tier oder die genannte Pflanze zur Nebensache wird.

Wer ist noch nicht, wer hat noch nicht benannt?

Einige Organisationen tauchen bei der Benennung ihres Tieres des Jahres gleich mehrfach auf. So ernannte der NABU in seiner Zentrale in Berlin den Star (Foto © NABU/Frank Philipp Groehl) zum Vogel des Jahres, dieselbe Zentrale in Berlin zusammen mit der Gesellschaft für Odonatologen die Zwerglibelle zur Libelle des Jahres und seine NABU Naturschutzstiftung in Nordrhein-Westfalen den Großen Fuchs als Schmetterling des Jahres.

Und wenn der NABU die Gemeine Skorpionsfliege als Insekt des Jahres 2018 ausruft, kürt in NRW der BUND die Zwerglibelle die Libelle des Jahres 2018. Eigentlich müßte der BUND doch wissen, dass die Libellen eine Ordnung innerhalb der Insekten darstellen. Übrigens gehören auch die Schmetterlinge zu den Insekten.

Oder möchten im Überschwang des Benennungseifers BUND und NABU auch als Jahreswesen 2018 benannt werden?

Ausgefallene Jahreswesen 2018

Der Deutsche Anglerverband kürte den Dreistachligen Stichling - auch Rotzbarsch genannt - zum Fisch des Jahres. Die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde aus Mannheim ließ es sich nicht nehmen, den Grasfrosch als Lurch des Jahres 2018 auszurufen, und der Arbeitskreis Wildbienen-Kataster rief die Gelbbündige Furchenbiene als Wildbiene des Jahres 2018 aus. Da konnte die Arachnologische Gesellschaft nicht zurückstehen und kürte die Fettspinne als Spinne des Jahres. "Wir auch" rief das Kuratorium "Weichtier des Jahres" und krönte die Neptunschnecke zum Weichtier des Jahres.

Wie bieder, aber sinnvoll und den Leser direkt ansprechend sind doch die Nennung der Wildkatze (Foto © Deutsche Wildtier Stiftung) als Wildtier des Jahres durch die Deutsche Wildtier Stiftung und des Langblättrigen Ehrenpreises als Blume des Jahres durch die Loki Schmidt Stiftung. Auch die Steckrübe soll nicht unerwähnt werden; sie wurde vom Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt als Gemüse des Jahres ausgezeichnet.

Es geht noch ausgefallener

Die Deutsche Gesellschaft für Protozoologie möchte das Schicksal der Tintinnen (Wimpertiere) mehr in das allgemeine Bewußtsein der Öffentlichkeit rücken und kürt sie zu Einzellern des Jahres.

Dem Verband Deutscher Sporttaucher liegt die Stern-Armleuchteralge sehr am Herzen. Für ihn ist sie die Wasserpflanze des Jahres 2018. Die bryologisch-lichenologische Arbeitsgemeinschaft an der Universität Zürich hat die Fransen-Nabelflechte zur "Flechte des Jahres" und das Echte Apfelmoos zum "Moos des Jahres" erklärt. Für die Sektion Phykologie der Deutschen Botanischen Gesellschaft an der Universität Marburg ist Klebsormidium die "Alge des Jahres".

Da sollten die Mikroben von der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie auch ins Rennen geschickt werden; sie erklärte Lactobazillus als "Mikrobe des Jahres".

Zurück zu den nachvollziehbaren Auszeichnungen 2018

Das Kuratorium "Baum des Jahres" benannte für 2018 die Esskastanie, der Arbeitskreis Heimische Orchideen das Torfmoos-Knabenkraut (Torfmoos-Fingerwurz) als Orchidee des Jahres, die Deutsche Gesellschaft für Mykologie den Wiesen-Champignon als "Pilz des Jahres", der Verein zu Förderung der naturgemäßen Heilweise nach Paracelsus den Ingwer als "Heilpflanze des Jahres", der Studienkreis "Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzen" aus Würzburg den Andorn als Arzneipflanze des Jahres und der Botanische Sondergarten Wandsbek den Rizinusbaum als "Giftpflanze des Jahres".

 

 

Die Taglilie benannte für 2018 der Bund Deutscher Staudengärtner als "Staude des Jahres".

 

 

Als "Regionale Streuobstsorten 2018" gelten Knausbirne für Baden-Württemberg, Ruhm aus Kelsterbach (Apfelsorte) für Hessen, Roter Brasilienapfel für Norddeutschland, Mirabelle aus Nancy für Saarland und Rheinland-Pfalz und Maibiers Parmäne (Apfelsorte) für Sachsen.

Flächige Benennungen

Auch größere Gebiete fallen unter die Jahreswesen 2018. So benannte das Kuratorium Boden des Jahres den Alpinen Felshumusboden als "Boden des Jahres". Die Naturfreunde Deutschlands kürten als "Flusslandschaft des Jahres" die Lippe, und der Bund Deutscher Forstleute den Wermsdorfer Wald als "Waldgebiet des Jahres".

Ob diese Flächen-Jahreswesen der Zielrichtung des ursprünglichen "Vogel des Jahres" aus dem Jahr 1971 noch genügen, sei dahingestellt.

Ausblick und Kritik

Viel weniger "Jahreswesen 2018" wären sehr sinnvoll, denn bei dieser Vielzahl an Auszeichnungen fehlt die Symbolkraft als Einzelbeispiel einer bestimmten Tierart, die es den Menschen und vor allen Dingen Kindern, die an die Natur herangeführt werden sollen, ermöglicht, sich über das Tier die Pflanze und deren Umwelt informieren zu lassen. Beispielhaft seien die Tiere des Jahres der Deutschen Wildtier Stiftung genannt, die seit 1992 die Arbeit der Schutzgemeinschaft Deutsches Wild fortführt. Sie hat sehr erfolgreich die Blickrichtung der Bevölkerung auf viele Tiere und ihren zu erhaltenden Lebensraum gerichtet. Als Beispiele seien hier nur Fledermaus, Rotwild, Hamster, Fischotter, Wolf, Seehund, Luchs oder der Feldhase genannt. 30 Tier- oder Pflanzenarten pro Jahr sind zu viel und führen zu einem "Na, und"-Achselzucken der Menschen, die angesprochen werden sollen.

Und zu guter Letzt: Nichts gegen die Fransen-Nabelflechte. Aber was passiert eigentlich, wenn ein Star als Vogel des Jahres die Flechte auf der Suche nach Insekten zerstört oder der Weißstorch als ein ehemaliger Vogel des Jahres den Grasfrosch frisst? Sind dann Verbandsklagen möglich oder muss über die Lösung des Problems wie jetzt bei der SPD ein Mitgliederentscheid unter den betroffenen Organisationen herbeigeführt werden?

Autor seit 11 Jahren
544 Seiten
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