Die alpine Flora in geologischen Zeiträumen

Die Eiszeiten, die etwa vor 800.000 Jahren begannen und vor 12.000 bis 15.000 Jahren endeten, waren für unsere heutige Pflanzenwelt von enormer Bedeutung. Die Gletscher der Alpen verschmolzen zu einer riesigen Eiskappe. In Mitteleuropa blieb nur ein winziger in west-östlicher Richtung verlaufender Streifen eisfrei, einzelne Bergspitzen, so genannte Nunatakker (etwa das Matterhorn) ragten ebenfalls aus der Eiskappe heraus. Einige Pflanzenarten hatten gelernt in den unwirtlichen Bedingungen zu überleben und überdauerten in den eisfreien Gebieten. Überreste dieser alten Flora finden sich in einigen Bereichen. Andere Arten wiederum sind mit dem Eis oder den Winden von weit her eingewandert, wie das Edelweiß.

 

 

Kalkkögel

Kalkkögel (Bild: a.sansone)

Womit haben die alpinen Pflanzen seit Jahrtausenden zu kämpfen?

  • Temperaturunterschiede zwischen sonnenarmen Nordhängen und sonnenreichen Südlagen,
  • die Sonnenstrahlung, die mit zunehmender Meereshöhe intensiver wird,
  • die dünner werdenden Luftschichten,
  • Winde, welche die Wärme rasch wieder fort blasen,
  • nährstoffarme Böden, all dies macht den Pflanzen zu schaffen.

Austrocknung und Frostschutz sind die vordringlichen Gefahren, denen es zu trotzen gilt. Pro 100 Meter Höhenzunahme sinken die Durchschnittstemperaturen jeweils um 0,5 ° Celsius, die Wachstumszeit verkürzt sich ebenfalls um zwei Wochen, ein Wettrennen gegen die Zeit beginnt. All dies beeinflusst das Pflanzenwachstum. Dadurch ergeben sich auch mit fortschreitender Höhe die verschiedenen Vegetationsstufen.

Matterhorn

Überlebensstrategien der alpinen Flora

Die extrem harten Lebensbedingungen in Fels und Eis erfordern, auch durch die kurze Vegetationszeit, ausgeklügelte Strategien um sich zu behaupten.

  • Zwergwuchs (Nanismus): Durch die starke Strahlung und die niedrigen Temperaturen wird das Wachstum gehemmt, durch die Bodennähe wird aber die Wärme besser genutzt und der Wind kann nicht so greifen. Ein berühmter Vertreter, der kleinste Zwergstrauch der Welt - die Alpenazalee/Gämsheide (Loiseleuria procumbens). Gerade mal 5 cm ober der Erde, aber unterirdisch mit einem speziellen Wurzelgeflecht. Die Wurzelsymbiose mit Pilzen (Mykorrhiza) liefert die notwendigen Stickstoffe, das Blätterdach schafft ein Mikroklima vom Feinsten. Abb.1 Loiseleuria
  • Mehrjährigkeit: Keimen, Heranwachsen, eine Blüte bilden und Samen heranreifen lassen, geht sich in der kurzen Vegetationsperiode selten aus. Nur knappe fünf Prozent der Gebirgsblumen sind einjährige Pflanzen, in Tallagen etwa zwanzig Prozent.
  • Verlängerte Vegetationszeiten durch Mittel wie immergrüne Blätter, die meist auch noch nadelartig sind, wie bei der Schneeheide (Erica herbacea) oder fleischig, wie bei der Fetthenne (Sedum, Sempervivum). Vielen Pflanzen genügt bereits das Sonnenlicht unter einer dünnen Schneedecke zur Assimilation. Abb. 2 Soldanella Da unter der Schneedecke der Boden kaum gefroren ist, leben die Pflanzen also auch im Winter weiter. Blütenknospen werden bereits im Herbst oder im Winter heran gebildet und entfalten bei den ersten Sonnenstrahlen nach der Schneeschmelze ihre Blüten.
  • Blattschutz, wachsig oder behaart, um die Pflanze vor Austrocknung zu schützen. Das fleischige Blatt (Sukkulenz) schützt vor Verdunstung, auch das Einrollen eines Blattes. Die Behaarung wirkt zusätzlich wie eine Isolierschicht und schützt die Blattoberfläche vor Auskühlung. Abb.3. Hieracium piliferum
  • Das Verhältnis Blüte zu Stängeln und Blättern wird extrem gefördert. Zur Blütezeit sind bei manchen Pflanzen die Blätter noch gar nicht heran gebildet, so fokussiert die Pflanze alle Kraft auf die Blütenbildung. Die starke Lichteinstrahlung und die großen Temperaturunterschiede von Tag und Nacht fördern die Leuchtkraft und das üppige Blühen. Durch die starke Sonnenstrahlung wird eine hohe Zuckerkonzentration im Zellsaft möglich, diese wiederum fördert die intensiven roten, blauen (Enzian/Gentiana) und violetten Farbstoffe und wirkt gleichzeitig als Frostschutzmittel.
  • Kissen- und Polsterwuchs schützt die Pflanzen besonders gegen den Wind und vor Austrocknung. Eine lange Pfahlwurzel versorgt die Pflanze mit Feuchtigkeit und verankert sie standfest.
  • Abb.4 Saxifraga bryoides
  • Bei einer Wuchshöhe von nur 5 cm kann so manche Pflanze 50 bis 60 Jahre alt werden (Loiseleuria). Bis zur ersten Blüte vergehen oft 10 Jahre. Die jedes Jahr neu entstehenden Blatt- und Blütentriebe ersetzen alte Blätter, die im Inneren absterben, aufs Neue. Die abgestorbenen Reste werden zu Humus. Diese Kissen können viel Wasser zurückhalten, deshalb gedeihen sie auch an extrem trockenen Standorten.
Extreme Standorte verlangen extreme Anpassung

dem Wind trotzen - Zirbe (Bild: https://pagewizz.com/womit-...)

  • Pflanzen im Felsschutt werden oft mit dem Geröll fortgerissen. und zugeschüttet. Aus ruhenden Vegetationspunkten, den schlafenden Augen, können sie aber rasch am neuen Standort wieder austreiben. Biegsame Kriechtriebe wiederum geben den Bodenbewegungen nach, ohne zu reißen (Thymus). Andere Pflanzen wiederum wachsen unterirdisch und schieben nur während der kurzen Wachstumszeit einige Blätter und Blüten über die Erdoberfläche. 
  • Durch die geringe Zahl an Insekten wird die Selbstbestäubung gefördert, manche Samen sind auch ohne Befruchtung keimfähig. So genannte "Wintersteher" reifen die Samen erst im Winter aus und verstreuen sie dann mit der Schneeschmelze (Frostkeimer). In den höchsten Lagen übernimmt der Wind die Verbreitung der Samen.
Alpenblumen von winzig bis imposant

Thymian (Bild: https://pagewizz.com/womit-...)

Als ob die normalen Verhältnisse im Gebirge nicht schon schwer genug wären, liefert der Mensch auch noch mittels Klimaerwärmung ein "Schäufelchen Probleme" hinzu.

Stimmt es, dass Alpenblumen immer früher blühen?

War es noch vor 20 Jahren frühestens im Juni möglich in die Berge aufzusteigen, kann man seit Jahren bereits ab Anfang Mai die ersten alpinen Blumen finden. Dabei gilt es, Achtung vor Schneefeldern, die es oftmals noch zu überschreiten gilt.

Langzeitbeobachtungen, hier aus der Schweiz, zeigen es:

Der phänologische Frühling, der offiziell mit der Blüte der Hasel Corylus beginnt, trat im Jahr 2002 im Mittelland (Seehöhe 400 - 600m) im statistischen Mittel 21 Tage früher ein als 1951 und in den Alpen 17 Tage früher.

Zudem begann der phänologische Sommer 2002 im Mittelland 17 Tage und in den Alpen 13 Tage früher als 1951.

Die Forscher fanden zudem heraus, dass die Pflanzen in den Alpen stärker auf den früheren Vegetationsbeginn reagieren als im Mittelgebirge, sie beginnen früher zu wachsen. Gewisse Arten vergrößern ihren Lebensraum in Richtung höhere Lagen auf Kosten anderer Arten, siehe Alpenblumen und die Auswirkungen des Klimawandels, die nicht mehr weiter nach oben ausweichen können. Die Eintrittstermine der phänologischen Frühlings- und Sommerphasen werden sehr stark von der Lufttemperatur beeinflusst. Daher ist der beobachtete Trend auf die Klimaerwärmung zurückzuführen, sind die Forscher sicher.

Alpenmannsschild, Gletscherhahnenfuß und Co im Rückgang

Das Alpenmannsschild (Androsace alpina) ist ein Spezialist für extreme Lagen. Die Pflanze mit sternförmigen, lilafarbigen Blüten gedeiht auf Steinschutt- und Geröllfluren, auf der subnivalen und nivalen Höhenstufe um 3.000 Meter.

Abb.5 Androsace alpina

Oder der Gletscherhahnenfuss (Ranunculus glacialis), der sogar bis 4.000 m hoch steigt.

Beide Arten haben in ihrem Bestand bereits stark abgenommen. Weitere Pflanzen der nivalen Zone sind ebenfalls betroffen. Der Klimaerwärmung geschuldet, denn höher als bis zum Gipfel geht es als Pflanze halt nicht mehr.

 

Porträts verschiedener alpiner Pflanzen/Alpenblumen und Tiere

Wer sein Herz an die alpinen Welt verloren hat, kann hier zu einigen Alpenblumen/Bergblumen und Tieren weiterlesen.

Quellen

  • Flora Helvetica, Lauber/Wagner; Haupt Verlag, 2014 Bern
  • Alpenpflanzen in ihren Lebensräumen, Mertz; Haupt Verlag, 2008 Bern
  • leben an der grenze, Mair/Müller/Reisigl; Nationalpark Stilfser Joch, 2002
  • Die Alpen, Einblicke in die Natur, Hofer; Innsbruck University Press, 2009 Innsbruck
Adele_Sansone, am 15.02.2016
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Bildquelle:
a.sansone (Alpenblumen/Alpenpflanzen und die Auswirkungen des Klimawandels)
https://pagewizz.com/glockenblumen-wenn- (Warum ist Wandern cool? 5 gute Gründe fürs Wandern)
Karin Scherbart (Die Sophienhöhe - Entstehung, Natur und Wanderwege)

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