Artenschutzprojekte

Wisent (Bild: traukainehm / Flickr)

Sie kennen die Situation sicher selbst. Man sitzt im Freundeskreis beisammen und redet über Gott und die Welt. Jeder gibt seinen Senf dazu. Der eine hat wirklich Ahnung, der andere ist zwar ahnungslos, kennt aber jemanden, der jemanden kennt, der sich auskennt. Somit ist besagte Person fast so etwas wie ein Experte. Klar?

Eben nicht.

Fragenkomplexe um Problematiken von Zoos, die man sich in munteren Gesprächen unter Zoofreunden so stellt, haben mich bewogen, sie doch einmal von einer Person beantworten zu lassen, die Ahnung von der Materie hat. Vor allem, um Gerüchtemachern einmal den Wind aus den Segeln zu nehmen.

*Dr. Michael Martys vom Alpenzoo war so nett, sich Zeit zu nehmen und auch unbequeme Fragen offen zu beantworten. Ein herzliches Danke dafür.

So einiges hat sich für mich geklärt. Für Sie, wenn Sie am Thema Zoo interessiert sind, vielleicht auch, wenn Sie diesen Artikel lesen.

 

Luchse im Alpenzoo (Bild: a.sansone)

Zum besseren Verständnis einige Erklärungen vorweg:

Auszug aus dem Verhandlungsbericht *Rigi-Symposium 2003

"In Zoos gehaltene Wildtiere dürfen, im Sinne einer artgemäßen Tierhaltung, in ihrer Anpassungsfähigkeit nicht überfordert werden. Das Fortpflanzungsverhalten liefert dafür einen entscheidenden Beitrag. Zootiere dürfen deshalb von der Fortpflanzung nicht generell ausgeschlossen werden. Dieser Grundsatz gilt für alle Tierarten. Bei der Umsetzung kann es notwendig sein, einzelne Tiere in Anlehnung an natürliche Vorgänge angst- und schmerzlos zu töten. Zoos sind verpflichtet, die Größe der Zoopopulationen verantwortungsvoll zu steuern."

* Das Rigi-Symposion ist eine Tagung von Zoo- und Naturschutzvertretern, Tierschützern, Ethikprofessoren und Verhaltensbiologen zu besonderen Schwerpunkten, die Zoos betreffen. 2003 war der Schwerpunkt: "Die Bedeutung von Fortpflanzung und Aufzucht von Zootieren".

Warum und wie züchtet man in Zoos?

  • Wie steht es mit der Zucht im Zoo? Dienen Jungtiere als reiner Lockvogel für die Besucher – reine marktwirtschaftliche Berechnung—weiteres Schicksal der Tiere nebensächlich, ihr früher Tod ist bereits mit einkalkuliert?

Dr. Martys: "Das Wohlbefinden der Zootiere kann man auch an ihrem Fortpflanzungserfolg ablesen. Tiere, die sich nicht wohlfühlen, pflanzen sich nicht fort. Viele Tierarten benötigen für ihr Sozialleben eine dauernde Jungtieraufzucht, nur so lernen die Heranwachsenden, wie sie ihre eigenen Jungen aufziehen müssen. Das Hauptargument für Zucht ist auf jeden Fall auch das Bestreben, von Wildfängen unabhängig zu sein." Das nur zum bsseren Verständnis.

"Wenn voraussehbar keine geeignete Unterkunft für die Nachzucht von Zootieren zur Verfügung steht, ist es die bessere Strategie, auf diese Nachzucht zu verzichten und Jungtiere nicht oder vorübergehend nicht zu präsentieren. Dieser Vorwurf "Publikumsgag" wird von Zoogegnern immer wieder erhoben, entbehrt jedoch der Grundlage, denn wir freuen uns natürlich selbst (vom Tierpfleger-Lehrling bis zum Zoodirektor) über Nachwuchs. Das Publikumsinteresse als wirtschaftliches Kalkül steht im Hintergrund zugunsten einer artgerechten Unterbringung und Tierhaltung.

Zucht, Nachwuchs planen - und die Realität

  1. a) Der optimale Fall ist das Wiederaussetzen der Nachzucht. Bei vielen Arten (z.B. Vögel, Kleintiere) ist es im Bereich des Alpenzoos sehr gut möglich.
  2. b) Nachwuchs wird selbst benötigt, oder ist für ein EEP-Projekt oder einen anderen Zoo bereits angefragt. Da rufen dann alle "Halleluja!"
  3. c) Wenn keine Nachzucht kurzfristig gewünscht ist – wird mit der Pille unterbunden. Allerdings hat sich heraus gestellt, dass es möglicherweise vermehrt zu Krebs kommen kann. Diese Möglichkeit ist also mit Bedacht zu wählen. Bei manchen weiblichen Tieren war nach wiederholter Pilleneinnahme, auch nach dem Absetzen, kein Nachwuchs mehr möglich. Zusätzlich stellt sich die Pillenabgabe bei vielen Tieren als nicht 100% kontrollierbar dar. Beispiel: Die Alphawölfin im Alpenzoo setzte trotz Gabe der Pille in gezielt gereichtem Futter ungewünscht 5 Junge in die Welt. Da beginnt dann das nachdenkliche Grübeln.
  4. d) Wenn auf lange Sicht kein Nachwuchs erwünscht ist, erfolgt Sterilisation oder Kastration.

Tierbaby (Bild: EyupPors38 / Pixabay)

Kann ein Zoo züchten, wie er will?

  • Zur Zucht allgemein eine Frage: Züchten die Zoos frisch, frei und unbeschwert? Nach dem Motto: Hauptsache es gibt Junge oder existiert ein zoo- und länderübergreifender Nachfragenkatalog?

Dr. Martys: "Primär züchtet ein Zoo für seinen eigenen Fortbestand, dann natürlich für die EEP-Programme, denen er beigetreten ist. Aber abseits davon gibt es wirklich eine internationale Wanted-Liste und eine Available-Liste. Darüber hinaus sind viele Zoos für ihre Spezialisierungen bekannt und da treten andere Zoos mit Wünschen und Bitten an einen heran.

Beispiel aus dem Alpenzoo: Das Fischotterweibchen Tyrol (Europäischer Fischotter) ging nach Japan. Ein Fischottermännchen aus einem deutschen Zoo wird nachfolgen. Warum? In Japan ist die Japanische Unterart des Fischotters ausgerottet worden, deshalb möchte das Aquarium in Fukushima vor allem dem jungen Publikum den Fischotter, wenigstens in der Europäischen Form, näher bringen. Auch mit dem Gedanken, die Menschen für andere einheimische gefährdete Arten und den Schutz derer Umwelt sensibler zu machen.

  • Wie erfolgt die Weitergabe an andere Zoos? Werden die Tiere verkauft?

Dr. Martys: "Tiere innerhalb der Zoos werden nicht verkauft, nur abgegeben oder eingestellt. Die Tiere haben einen Wert, aber keinen Preis. Dies betrifft auch "private vertrauenswürdige Tierparks". An Privatpersonen werden Tiere überhaupt nicht abgegeben, es sei denn, es handelt sich dabei um verlässliche private Tierhalter und Züchter, die sich im besten Falle an einem EEP oder Ähnlichem beteiligen."

  • Wem gehört der erwünschte Nachwuchs?

Dr. Martys: "Es gibt dafür die sogenannten Einstellvereinbarungen. Sie legen fest: Wem gehört das Tier? Wo lebt das Tier? Mit wem soll es verpaart werden? Wem gehört der Nachwuchs? Meistens jeweils ein Junges dem Herkunftszoo, eines dem Einparkzoo. Wenn nur ein Junges geboren wird, dann wird das ebenfalls vorher geregelt."

 

  • Was geschieht mit ungewollten und deshalb überzähligen Jungtieren?

Dr. Martys: Wenn ungewollter Nachwuchs erfolgt, beginnt die Suche nach einer externen geeigneten Unterbringung. Abgegeben dürfen Tiere nur an artgemäße Tierhaltungen werden, bevorzugt an wissenschaftlich geleitete Zoos. Die Suche beginnt durch die Zoo- interne Wanted List und direkte Kontakte.

Bei Anfragen an den Zoo von außerhalb, wird immer eine Kontrolle über die artgemäße Haltung (Haltungsgenehmigung) des Anfragestellers (zB privat geführte Tierparks) durch benachbarte Zoos getätigt.

Der "worst case", wenn sich keine adäquate Unterbringungsmöglichkeit ergibt, ist die Jungtiere angst- und schmerzfrei zu töten. Nach Möglichkeit sind die als "überzählig" bezeichneten Tiere in den zoointernen Nahrungskreislauf einzubringen. (Verfütterung an die im Zoo ansässigen Raubtiere). Das soll und muss allerdings an die Öffentlichkeit offen kommuniziert werden. Man darf nicht vergessen, dass jeder Zoo auch Futtertiere züchtet. Auch die werden so schonend wie möglich getötet und verfüttert.

Thema Artenschutz

  • Hört man den Begriff "Artenschutz", denkt man sofort an die Wiederansiedelung gefährdeter Arten. Ist der Artenschutz und die Nachzucht gefährdeter Arten nicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Dr. Martys: "Auch wenn es nur ein geringer Prozentsatz sein mag, aber dieser ist wichtig und zählt."

  • Seit wann betreibt der Alpenzoo gezielt Artenschutz und Nachzucht?

Dr. Martys: "Der Wechsel weg vom bloßen "zur Schau stellen" begann etwa Mitte des 20. Jahrhunderts. Seit seiner Gründung 1962 ist der Alpenzoo aktiv im Artenschutz tätig. Seit dem Start des EEP (Europäisches Erhaltungszuchtprogramm) im Jahr 1985, beteiligt sich der Alpenzoo an der Auswilderung von Nachzuchten gefährdeter Tierarten als einem seiner Schwerpunkte.

Beteiligung bei Bartgeier, Mönchsgeier, Steinbock, Wisent, Schwarzstorch, Wildkatze, Habichtskauz, Auerhuhn und Haselhuhn, und federführende Leitung beim Programm für den Waldrapp.

Ebenfalls nimmt er am Erhaltungsprogramm von Reservepopulationen teil, deren Überleben in menschlicher Obhut gewährleistet werden soll. (Arten, die für eine Auswilderung unter heutigen Bedingungen noch nicht geeignet sind. Dazu zählen vor allem die Raubtiere, im Falle des Alpenzoos sind das Braunbär, Wolf und Luchs und auch der Fischotter).

 

  • Wie erfolgreich und überlebensfähig sind die nachgezüchteten Arten? Von Tierrechtlern wird oft angezweifelt, dass sich im Zoo geborene Nachzüchtungen in freier Wildbahn behaupten können. Können Sie uns Beispiele geben?

Dr. Martys: "Nehmen wir das Fallbeispiel Steinbock. Die ursprünglich alpenweite Verbreitung des Steinbocks wurde durch Wilderei und Überjagung im 19. Jahrhundert auf einen kläglichen Restbestand (etwa 60 Tiere) im Italienischen Aostatal, im Gebiet des heutigen Nationalparks Gran Paradiso, reduziert. Mit Nachzuchten aus verschiedenen Zoos (auch der Alpenzoo beteiligt sich heute noch an der Auswilderung zwecks Blutauffrischung und Bestandsvermehrung) ist inzwischen der gesamte Alpenraum wieder besiedelt worden. Derzeit gibt es rund 40.000 Tiere im gesamten Alpenraum. Der Steinbock ist gerettet.

Das zweite Herzensprojekt vom Alpenzoo ist der Bartgeier: derzeit 150 Stück freilebend. Im Nationalpark Hohe Tauern schlüpfte Mitte März 2010 das erste Bartgeier-Küken aus einer Brut im Freiland, die Elternvögel stammen aus der Nachzucht des Alpenzoos. Das Alpenzoo-Bartgeierpärchen wurde übrigens 50 Jahre alt. (Verstorben 2013) Aus 24 Gelegen wurden 2014 wurden bereits 19 Küken flügge, ein neuer Rekord des Bruterfolges der freilebenden Bartgeier im Alpenraum.

Bei allen genannten Tieren, Steinböcke, Bartgeier, Biber, Fischotter, Wisente, gibt es keine Probleme, die sich durch die Nachzucht aus Zoos ergeben hätten.

 

Wolf (Bild: Wilda3 / Pixabay)

EEP, ESB, Inzucht und anderes

  • Das EEP gibt es seit 1985. Wer regelt, welche Tiere welcher Zoo züchten darf oder soll?

Dr. Martys: "Verschiedene Zoos führen das EEP (Europäisches Erhaltungszucht Programm) für eine oder mehrere Arten. Dr. Christiane Böhm, Forschungsassistentin im Alpenzoo, ist die EEP-Koordinatorin für den Waldrapp. Das EEP gibt Richtlinien vor, die als Empfehlung für alle an einem bestimmten EEP beteiligten Zoos gilt.

  • Wie kann man sich die Arbeit eines Zoos, das Arbeiten bei Artenschutz mit Auswilderungsprogrammen, in situ-Projekten, internationalen Naturschutzprogrammen vorstellen?

Dr. Martys: "Der EEP-Koordinator arbeitet mit allen anderen Zoos und den Stellen, die für eine erfolgreiche Auswilderung maßgeblich sind, eng zusammen. Für Österreich sind das etwa Nationalparks, WWF, Naturschutzbund, die für einen geeignet geschützten Lebensraum verantwortlich sind."

Im Zuchtbuch (ESB=European Studbook) ist der gesamte Stammbaum der in Zoos geführten Tiere einer bestimmten Art aufgezeichnet. Das älteste Zuchtbuch existiert über den Wisent. Noch nicht alle Tiere sind in Zuchtbüchern erfasst.

  • Wie steht es bei dem Zoo-internen Genpool mit Anomalien, Erbkrankheiten?

Dr. Martys: "Gendefekte spielen bei Wildtieren in der Regel keine Rolle. Geschwisterverpaarungen und Verwandtschaftszuchten werden aber nach Möglichkeit vermieden, obwohl das Gen-Reservoir einer Wildart bedeutend breiter gefächert ist als beispielsweise bei Nutz- und Haustieren, wo die Gen-Merkmale willentlich vom Menschen reduziert wurden."

  • Inzucht im Zoo? Ist das ein Problem? Gibt es das wirklich? Oder ist das ein normales Verhalten, das auch in freier Natur vorkommt? Siehe am Beispiel der Steinböcke?

Dr. Martys: "Das kann bei kleinen Populationen schon vorkommen. Aber auch eine Geschwisterverpaarung ist Inzucht. Um eine mögliche Gen-Supression zu vermeiden, wird auf Verwandtschaftszuchten verzichtet. Wenn es doch passiert, dann nicht absichtlich oder gewollt!"

Zoo-Gerüchteküche

  • Gerüchte, die sich um dubiose Machenschaften der Zoos ranken, wie: Überzählige Tiere werden an Schlachthöfe verkauft, an dubiose Tierhändler, die an sogenannte "Abschussfarmen" verkaufen (Raubkatzen, Bären). Wie steht es damit?

Dr. Martys: Tiere werden an keine Tierhändler verkauft. Auch innerhalb der Zoos wird nicht verkauft, nur abgegeben oder eingestellt. Dies betrifft auch "private vertrauenswürdige Tierparks".

  • Das Töten "überzähliger" Tiere ist ein sehr emotionsbeladenes Thema.

Dr. Martys: Wenn alle Versuche das Jungtier unterzubringen erfolglos sind, dann muss man als Zoo mit Offenheit und Erklärungen an die Öffentlichkeit gehen. Kein Zoo kann "unter der Hand" überzählige Tiere einfach verschwinden lassen.

"Die angst- und schmerzfreie Tötung überzähliger Tiere soll in Annäherung an natürliche Prozesse zum Zeitpunkt sogenannter biologischer Schnittstellen, wie Geburt, Entwöhnung oder dem Verlassen des Familienverbands erfolgen." Quelle: (Rigi-Symposium 2003) Nachsatz: Wo auch in freier Wildbahn die Gefährdung des Individuums am größten und sein Tod am wahrscheinlichsten ist."

 

*Dr. Michael Martys - ehem. Direktor & Geschäftsführer vom Alpenzoo Innsbruck

Daten zum Gesprächspartner:
Dr. Michael Martys
  • Studium der Zoologie und Psychologie in Salzburg
  • ab 1975 wissenschaftlicher Mitarbeiter von Konrad Lorenz
  • 1982 - 1989 Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau Almtal (OÖ)
  • 1990 - 1992 stellvertretender Direktor des Salzburger Tiergarten Hellbrunn
  • von 1992 bis 2017 geschäftsführender und zoologischer Direktor
  • Geschäftsführer des Forschungs- und Lehrinstitutes des Alpenzoo
  • Sachverständiger für Naturschutz, Artenschutz, Tierhandel und Tierhaltung
  • Kassier der Österreichischen Zoo Organsiation (OZO)
  • Vorstandsmitglied des Verbandes Deutscher Zoodirektoren (VDZ)

Das Gespräch mit Dr. Michael Martys führte die Autorin des Artikels, Adele Sansone.

Adele_Sansone, am 12.12.2014
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Bildquelle:
https://pagewizz.com/was-ist-so-besonder (Was ist so besonders am Alpenzoo Innsbruck?)
https://pagewizz.com/was-wissen-wir-uber-braunbaren-34689/ (Was wissen Sie über Braunbären?)
a.sansone (Wer kennt den Fischotter?)

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