Der Herbst: Zeit zum Loslassen

Im Herbst macht es uns die Natur besonders deutlich vor: Sie lässt Altes, Verbrauchtes und Überflüssiges einfach los. Die Blätter fallen von den Bäumen, Blumen verwelken, Pflanzen sterben ab, Vögel verlassen die Sommerheimat und ziehen in ferne Länder. Die Landschaft wird karger, kahler und farbloser.

Die Natur hält nichts fest, sie klammert nicht. Loslassen ist wichtig, damit im nächsten Zyklus Neues entstehen kann.

Die Herbstmonate können auch für uns Menschen eine gute Zeit sein, um Ballast abzugeben, um mit mehr Leichtigkeit und weniger "Gepäck" durch den kommenden Winter zu gehen.

Loslassen, was bedeutet das überhaupt?

Wer loslässt, der hält nicht mehr fest, der klammert nicht mehr. Der gibt etwas oder jemanden frei, vielleicht gibt er auch etwas auf.

Ein häufig gebrauchtes Bild, um die Idee des Loslassens zu verdeutlichen: Die Hände frei haben, um auf diese Weise auch Neues willkommen zu heißen und aufnehmen zu können.

Beim Loslassen geht es nicht darum, etwas wegzustoßen oder unbedingt zu wollen, dass es verschwindet. Loslassen heißt, dass man nicht mehr mit ganzer Aufmerksamkeit an etwas klebt, nicht mehr versucht, damit zu kämpfen oder es zwanghaft besser machen zu wollen.

Was kann man überhaupt loslassen?

Loslassen kann man …

  • Gedanken (Geben wir es zu: Viele davon sind ziemlich überflüssig und bringen uns sogar eher Schaden als Nutzen!)

  • Gefühle (sowohl negative als auch positive Gefühle!)

  • Erwartungen (an sich selbst, die Zukunft, das Leben, andere Menschen, ...)

  • Wünsche

  • Besitztümer bzw. materielle Dinge

  • Beziehungen

  • körperliche Anspannungen bzw. Verspannungen

  • Urteile (Bewertungen, Vorurteile, ...)

  • die Vergangenheit (Kindheitstraumata, etc.)

Let go and let God!

Ein berühmter englischer Slogan bringt es auf den Punkt: Let go and let God! Im Deutschen heißt das: Loslassen und Gott machen lassen. Oder für Nicht-Gläubige: Das Leben weißt schon, was es tut.

Jeder spirituelle Lehrer formuliert es auf seine Weise.

Michael Singer, amerikanischer Bestseller-Autor hat ein faszinierendes Buch über dieses Thema geschrieben: Das Experiment Hingabe. Für ihn bedeutet Loslassen: "Ja" sagen zu dem, was das Leben einem anbietet, es nicht zu hinterfragen oder zu meinen, dass man selbst bessere Ideen hat.

Der österreichische Autor Bernd Helge Fritsch behauptet: Wir können dem Leben vertrauen, loslassen und es so annehmen, wie es kommt. Denn: Das Schicksal macht keine Fehler.

Für die bekannte spirituelle Lehrerin Byron Katie heißt loslassen: Sich nicht in Gottes Angelegenheiten (bzw. die Angelegenheiten des Lebens) einmischen.

Der Amerikaner Hale Dwoskin lehrt mit seiner vor allem in den USA populären Sedona Methode, das Klammern an Ziele und Wünsche loszulassen bzw. aufzugeben, damit diese Chance und Freiraum bekommen, um sich verwirklichen zu können.

Loslassen = Nicht-Anhaftung

Loslassen bzw. Nicht-Anhaftung ist auch ein wichtiges Prinzip im Buddhismus. Denn wie Buddha einst entdeckte: Vor allem die Anhaftung ist es, die für Leid und Schmerzen sorgt.

Das heißt: Wir haften mit unserer Aufmerksamkeit nicht nur am Unangenehmen, sondern auch am Angenehmen! Negative Erfahrungen wollen wir nicht haben, positive Erfahrungen nicht aufgeben müssen.

Wünsche zu haben bedeutet, verhaftet zu sein. Unbedingt etwas haben wollen, unbedingt etwas haben müssen – das kann unzufrieden und unglücklich machen.

Wunschlos glücklich sein? Dazu sagt die buddhistische Philosophie:

Glücklich sind wir in dem Moment, in dem wir nichts brauchen oder unbedingt haben müssen. Frieden und Entspannung stellen sich dann ganz von selbst ein.

Glücklich sind wir nicht, weil ein Wunsch sich erfüllt hat, sondern weil wir ihn dadurch endlich loslassen konnten – wir erleben einen Moment des Friedens, für einen Augenblick ist alles in Ordnung, so wie es ist.

Praktische Wege, um das Loslassen zu üben

Beten

Wer gläubig ist, der kann durch ein Gebet die Last an eine höhere Macht abgeben.

Für alle, die mit althergebrachten religiösen Traditionen eher weniger anfangen können: Die amerikanische Autorin Tosha Silver praktiziert das Loslassen auf eine recht eigenwillige und unserer modernen Welt angepassten Weise. Ihre spezielle Methode des "spiritual surrender", der spirituellen Hingabe, stellt sie in ihren Büchern vor: Unverschämt optimistisch: Warum wir grenzenlos vertrauen dürfen und Change Me Prayers: The Hidden Power of Spiritual Surrender.

Demut

Wer loslassen möchte, dem kann gerade diese eher unpopuläre, jedoch erstaunlich positive und wertvolle Eigenschaft sehr gut tun: Die Demut bzw. Hingabe (im Englischen: surrender).

The Work

Wie man seine Anhaftung an schmerzhafte Gedanken, an negative Gefühle und an einschränkende Glaubensmuster loslassen kann, das lehrt die bereits erwähnte amerikanische Autorin Byron Katie mit ihrer Fragemethode The Work.

Im deutschsprachigen Raum sind vor allem die Bücher von Ina Rudolph beliebt, auch sie praktiziert The Work: Ich will ja loslassen, doch woran halte ich mich dann fest?

Akzeptanz

Wer loslassen möchte, der muss erst mal greifbar machen, was überhaupt da ist. Klingt vielleicht komisch, ist aber sehr wichtig. Deshalb gehört vor allem die Akzeptanz zu den Bedingungen für erfolgreiches Loslassen. Erst muss ich anschauen, annehmen und akzeptieren, was überhaupt da ist. Erst dann kann ich es auch loslassen.

In ihrem Buch Nutze die Kraft deiner Gefühle hilft Lucia Scholz ihren Lesern, sich diese Entwicklung etwas leichter zu machen.

Meditation

Die vermutlich älteste und beliebteste Methode, um überflüssiges Denken bzw. Gedankenballast loszulassen ist die Meditation.

Achtsamkeit

Wer nicht loslassen kann, der hält fest – logisch. Häufig bedeutet das, dass man an der Vergangenheit festhält oder sich an bestimmte Erwartungen bezüglich der Zukunft klammert. Das Gegenmittel: Im Jetzt sein, im Augenblick leben.

Die Vergangenheit loslassen

Loslassen hilft uns dabei, mit neuen Augen zu sehen. Wer sich von der Vergangenheit freimachen kann und keine (oder weniger) Erwartungen an die Zukunft hat, der lebt unbeschwert und unbelastet, so wie wir es alle als Kinder erfahren haben.

Buddhisten sprechen deshalb auch vom "Geist des Anfängers" ("beginner's mind"). Nichts zu wissen, nichts vorauszusetzen, auf frische und neue Weise die Welt zu betrachten, nicht zu meinen, dass man den anderen sowieso schon in- und auswendig kennt – das ist besonders in Beziehungen zu anderen Menschen sehr hilfreich.

Auf diese Weise kann man Groll loslassen, Bitterkeit, Ärger und Wut. Auch Vergebung ist Loslassen. Und nicht nur anderen Menschen kann man verzeihen, vor allem auch sich selbst!

Flexibilität

Flexibilität, eine Eigenschaft, die in unserer modernen Zeit so wichtig ist, hilft dabei. Flexibel zu sein, das bedeutet, die eigenen Erwartungen und Ansprüche an sich und andere auch mal herunterschrauben zu können, die eigenen Grenzen und die Grenzen anderer zu akzeptieren.

Denn: Irren ist menschlich! Wer nicht perfekt sein will oder perfekt sein muss, der kann auch anderen leichter nachsehen, dass diese nicht perfekt sind. Die Praxis der Selbstfürsorge ist dabei eine wertvolle Hilfe!

Verzichten

Natürlich kann man auch auf ganz praktische Weise loslassen: Materiellen Besitz, zum Beispiel. Verzichten, entrümpeln, mit weniger zufrieden sein – das folgt einem Trend der letzten Jahre, dem Minimalismus.

Warum der Minimalismus so beliebt ist? - Diejenigen, die es ausprobiert haben, das Verzichten, berichten von einer wohltuenden Wirkung, die auch in anderen Lebensbereichen sehr positive Veränderungen in Gang setzen kann.

Interessant ist: Das Loslassen von Besitztümern und Gegenständen hilft auch, seelischen Ballast loszuwerden. Der Geist kann sich entspannen. Ein spirituelles Prinzip besagt: Wer verzichtet, der schafft gleichzeitig Raum für etwas Besseres. Klingt eigentlich logisch: Ich kann erst dann bekommen, was ich wirklich brauche, wenn ich das losgelassen habe, was mir nicht mehr gut tut.

Yoga & Atemtraining

Auch körperliche Entspannung ist Loslassen: Loslassen von Anspannungen und Verkrampfungen. Das funktioniert zum Beispiel sehr gut durch Yoga, denn Yoga-Haltungen sind nicht nur Körperübungen, die entspannend wirken, auch der Atem hat für die Yoga-Praxis eine zentrale Bedeutung.

Das ist deshalb so sinnvoll, denn: Der Atem lehrt uns, immer wieder loszulassen, er muss fließen, man kann ihn nicht festhalten. Ein entspannter Körper wirkt auch positiv auf die Seele. Behauptet wird sogar: In einem total entspannten Körper können sich keine negativen Gefühle mehr halten.

Eigentlich müsste das Loslassen ganz einfach sein ...

... eine einzige Erkenntnis sollte schon ausreichen: Das Festhalten(wollen) ist eine Illusion. Denn: Hatten wir überhaupt je die Kontrolle über das Leben? Über die anderen? Oder auch nur über unsere eigenen Wünsche? Unsere Gedanken? Kommen und gehen diese nicht ganz von selbst? Wie viel können wir überhaupt beeinflussen?

Festhalten bzw. Nicht-Loslassenkönnen und Nicht-Loslassenwollen bewirken vor allem eines: Widerstand gegen das, was ist. Widerstand gegen das Leben. Und mit diesem Widerstand tun wir uns selbst am meisten weh.

Die gute Nachricht: Loslassen kann man lernen!

Loslassen kann man lernen – kaum jemand beherrscht es schon von Geburt an.

Es erfordert Vertrauen, Mut, Ausdauer und viel Übung. Dafür bietet das Leben aber reichlich Gelegenheit!

Ein Tipp der Autorin und Meditationslehrerin Safi Nidiaye: Wenn man gerne loslassen möchte, es aber nicht kann, sollte man einfach akzeptieren, dass man momentan (noch) an etwas festhält. Zuerst den Stillstand, den Widerstand bewusst annehmen, denn man kann das Loslassen nicht erzwingen.

Loslassen geschieht von selbst, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Es macht keinen Sinn, sich zum Loslassen zu zwingen, weil es "besser" wäre, es "alle anderen" auch tun oder es gerade im Trend liegt. 

Michaela, am 12.11.2017
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