Horror: Wir schnitzen unsere eigenen ÄngsteWarum wir uns Horrorfilme überhaupt erst anschauen, war und ist Gegenstand zahlreicher psychologischer Abhandlungen. Vielleicht näherte sich der britische Psychoanalytiker Michael Balint der Wahrheit am Nächsten an, als er den Begriff der Angstlust prägte. Die Kernaussage seiner These: Das Individuum setzt sich einer nicht unmittelbaren Gefahr aus in der Hoffnung, die damit verbundene Furcht bewältigen und hernach in die Sicherheit der Realität zurückkehren zu können.

Der Horror in all seinen vielschichtigen Ausprägungen ist freilich keine neuzeitliche Erfindung von Schundautoren, wie bisweilen gerne behauptet wird. Bereits Kinder empfinden Lust an der Angst. Liest man beispielsweise Märchen in ihren ursprünglichen Fassungen, so zeichnet sich ein erstaunlich blutrünstiges Bild, das mit Disneys Schönfärberei wenig Gemeinsamkeiten aufweist.

Klassischer Horror: Dracula, Werwolf und die Mumie

Nosferatu

Der echte S(ch)rek!

In den Anfängen des Kinos flimmerten zumeist die Archetypen des Horrors über die Leinwände. Klassische Motive waren Frankensteins Monster (lose auf Mary Shelleys Romanklassiker basierend), ins Leben zurückgekehrte ägyptische Mumien, Werwölfe und natürlich Vampire. Allesamt Horrorgestalten, die zahlreiche Variationen und Neuinterpretationen erfuhren und rasch in den filmischen Kanon Einzug hielten. Insbesondere Bela Lugosis verführerischer Gentleman-Dracula sollte das Bild des Blutsaugers prägen, profitierte dabei jedoch bereits von den Möglichkeiten des Tonfilms.

Im Gegensatz hierzu definierte sich Friedrich Murnaus Stummfilm "Nosferatu" über die herausragende Atmosphäre und den wohl bis heute furchteinflößendsten Vampir der Kinogeschichte in Gestalt von Graf Orlok. Max Schreck (übrigens kein Künstlername) verkörperte den sowohl nach Blut, als auch nach Liebe gierenden Untoten mit unerreichter Eleganz und ungezügelter Leidenschaft.

 

Filmpionier Fritz Lang

Überhaupt erwies sich das Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts als Mekka der Horror- und Science-Fiction-Filmkunst. Paul Wegeners "Der Golem, wie er in die Welt kam", Robert Wienes "Das Cabinet des Dr. Caligari" oder Fritz Langs "Frau im Mond" und insbesondere "Metropolis" zählten zum Besten, was das phantastische Genre zu bieten hatte. Der Vormachtstellung des deutschen Kinos schoben in den 1930er-Jahren die Nazis einen Riegel vor. "Entartete Kunst" wie der in eben jenen Filmen verbreitete Expressionismus und Surrealismus entsprach den Anforderungen an das Regime ebensowenig, wie - kaum überraschend - die nicht den Schönheitsidealen entsprechenden Darstellungen von Monstern oder Robotern. International sollte der Horrorfilm mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs viele Jahre lang in Bedeutungslosigkeit versinken. Mit den Schrecken des Holocausts, der Schützengräben oder dem Abwurf der Atombomben, konnten karpatische Blutsauger und Wolfsmenschen nicht im Geringsten mithalten.

Die 50er: Unser Feind, das Atom

Bug Movies

Es dauerte rund zwei Dekaden, bis der Horrorfilm sein Comeback in den Kinos feierte. Von einem fulminanten Comeback waren die ab Mitte der 1950er Jahre entstandenen Genrestreifen zunächst aber noch weit entfernt. Einfallslos wurden die alten Monsterikonen wie Dracula, der Werwolf oder die untote Mumie zu neuem, erstmals farbigem Leben erweckt. Bedeutsamkeit erfuhren die Filme jener Ära erst durch zwei neue Subgenres: Zum einen die "Bug Movies", zum anderen die Einführung von Außerirdischen.

Gerade noch den letzten Zug nach Tokio erwischt...In den "Bug Movies" mutierten harmlose Insekten zu riesigen, bedrohlichen Monstern. Die Initialzündung lieferte 1954 Gordon Douglas' Klassiker "Formicula": Durch Atomwaffentest verstrahlte Ameisen wachsen zu gigantischer Größe heran und werden zur existenziellen Gefahr für die Menschheit. "Formicula" überzeugte nicht nur durch einen spannenden Plot und akzeptable Spezialeffekte, sondern auch durch die für seine Zeit ungewöhnlichen wissenschaftlichen Erklärungsversuche des Grauens und die Warnung vor den Gefahren der damals noch neuen Atomtechnologie. Immerhin hatten die USA dank der Atombombe Japan in die Knie gezwungen und Atomreaktoren schienen unerschöpfliche, saubere Energie zu garantieren. Ausgerechnet dieser Zukunftstechnologie skeptisch gegenüberzutreten, kann als durchaus subversiv betrachtet werden.

 

Godzilla

Interessanterweise griff im selben Jahr ein japanischer Horrorfilm die Gefahren der Atomtechnologie in ähnlicher Weise auf. Ishirō Honda ließ die Riesenechse Godzilla auf Tokio los und erschuf somit den Prototypen des japanischen Filmmonsters. Die eingenommene Perspektive war natürlich von den nicht einmal ein Jahrzehnt zurückliegenden Verwüstungen in Hiroshima und Nagasaki geprägt und entsprechend düster.

Ach, sie werden ja sooo schnell erwachen...Der Erfolg von "Formicula" rief verständlicherweise zahlreiche Trittbrettfahrer auf den Plan, etwa 1955 "Tarantula" mit einem blutjungen Clint Eastwood in einer Minirolle. Nach einer wahren Flut an "Bug Movies", bei denen alles, was auch nur entfernt an Insekten erinnerte, auf die Leinwand geworfen wurde, verebbte diese Welle meist billig produzierter Subgenrefilme. Angelegentlich tauchen Rieseninsekten aber auch heute noch auf, wenngleich mit weniger Erfolg, wie der 2002 produzierte "Arac Attack – Angriff der achtbeinigen Monster". Und, ja: Der Artikelautor ist sich dessen bewusst, dass Spinnen keine Insekten sind. Im Gegensatz zum an einer Schule unterrichtenden Protagonisten von "Earth vs. Spider", der Spinnen zu den Insekten zählt...

 

Die Außerirdischen kommen!

Bedeutender war hingegen Hollywoods Tribut an die grassierende UFO-Hysterie. Die Außerirdischen jener Ära kamen - mit Ausnahme von Robert Wises "Der Tag, an dem die Erde stillstand" - so gut wie immer in feindlicher Absicht. Am Bemerkenswertesten stachen wohl Byron Haskins H. G. Wells-Verfilmung "Kampf der Welten" heraus, der noch heute trotz zeitgenössischer Klischees bestens zu unterhalten versteht, sowie der ungewöhnliche Invasionsfilm "Die Dämonischen", vertrauter unter dem Originaltitel "Invasion of the Body Snatchers".

Ende der 1950er Jahre etablierte sich der Mix aus Horror und Science Fiction, etwa in Gestalt des formlosen, alles Lebende verschlingenden Blobs (1958) oder der "Fliege", eines Wissenschaftlicher, der in Folge eines verunglückten Experiments den Kopf einer Fliege trägt.

Aufbruch in die 60er: Ende der Zurückhaltung

Hitchcocks "Psycho"

Wie ironisch: Sie hatte ausdrücklich ein Zimmer mit Dusche gebuchtWas so gut wie alle Horrorfilme jener Ära bestimmte, war der Verzicht auf allzu viel Blut und visualisierte Gewalt. Der Schrecken wurde lediglich angedeutet oder trat überhaupt in den Hintergrund und wurde lediglich in Dialogzeilen erwähnt. Die Motive hierfür lagen wohl weniger in der freiwilligen Zurückhaltung der Produzenten begründet, als vielmehr in der rigiden Zensur. Gewalt war ebenso verpönt, wie etwa "obszöne Sprache" oder jegliche Andeutung von Geschlechtsverkehr. Dies sollte sich gerade in den freizügigeren 1960er Jahren ändern.

Entscheidenden Anteil daran trug ausgerechnet Alfred Hitchcock. Sein 1960 produzierter "Psycho" gilt zurecht als einer der besten Horrorfilme aller Zeiten und sollte das Genre ganz wesentlich prägen. Ganz bewusst brach der exzentrische Regisseur mit den damals gültigen Regeln und Konventionen, indem er etwa eine höchst selbstbewusste und sexuell aufgeschlossene Frau als Protagonistin einführte - nur, um sie nach nicht einmal einer Stunde unter der Dusche ermorden zu lassen. Zudem verwirrte Hitchcock mit der Darstellung des Mörders als gut aussehenden, sympathischen jungen Mann von Nebenan. Der Prototyp des gleichermaßen faszinierenden, wie abstoßenden Psychopathen war geboren!

 

"Die Vögel": Rückkehr des Tierhorrors

Drei Jahre später setzte der Brite mit "Die Vögel" einen drauf und schuf einen Klassiker des "Tierhorrors", der ohne jegliches Science-Fiction-Brimbamborium auskam. Warum das ansonsten harmlose Federvieh plötzlich Menschen attackiert, bleibt letztendlich ungeklärt. Ebenfalls 1963 erblickte ein weiterer einflussreicher Horrorfilm das Licht der Leinwand: "Blood Feast" von Herschell Gordon Lewis. Der Streifen gilt als erster Splatterfilm überhaupt und entsetzte mit den für damalige Zeiten außergewöhnlich blutigen Gewaltszenen, etwa wenn einer jungen Frau die Zunge herausgerissen oder eine Leiche ausgeweidet wird. Freilich: Berühmtheit erlangte "Blood Feast" lediglich dank eben jener blutigen Szenen. Denn weder der Plot selbst, noch die Spezialeffekte vermögen zu überzeugen. Mit weiteren ähnlich gelagerten Filmen wie "Two Thousand Maniacs!" gelangen Lewis noch einige Leinwanderfolge, bis sich das Publikum an den billig produzierten B-Movies sattgesehen hatte.

Auch die Toten lieben "Douglas"Schließlich hatte ein junger Regisseur namens George Romero mit "Die Nacht der lebenden Toten" 1968 einen Klassiker des Splattergenres geschaffen, der noch heute durch seine Atmosphäre und den subtilen Humor glänzt. Berühmt-berüchtigt wurde jene Szene, in der die Manifestation der Unschuld selbst, ein kleines Mädchen, seine eigene Mutter tötet und sich an den noch warmen Innereien labt.

Inmitten psychopathischer Killer oder Zombies wirkten betuliche Gruselfilme wie "Bis das Blut gefriert" (auf dem das von Kritikern genüsslich zerrissene Remake "Das Geisterschloss" aus 1999 basiert) geradezu anachronistisch. Die Zeiten der Zurückhaltung waren in der 68er-Ära auch im Kino passé.

Das okkulte Jahrzehnt: Exorzisten, Dämonen und Geister

Der Exorzist

"Moment: Das ist doch nicht Disneyland!"Mit den 1970er Jahren brach das wohl fruchtbarste und erfolgreichste Jahrzehnt für den Horrorfilm an. Das Interesse für Okkultismus erlebte einen Boom sondergleichen, was sich findige Filmemacher natürlich nicht entgehen ließen. William Friedkin verfilmte 1973 William Peter Blattys Bestseller "Der Exorzist" und pulverisierte sämtliche Box-Office-Rekorde. Alleine in den USA spülte der Horrorfilm eine Viertelmilliarde Dollar in die Kinokassen und ebnete den Weg für zahlreiche andere okkulte Werke, wie "Das Omen" oder die "Poltergeist"-Serie. Der Einbruch des Übernatürlichen in die Realität der Protagonisten geschah nicht mehr auf subtile Weise, sondern mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Mit Ketten rasselnde Schlossgespenster lockten angesichts dessen niemanden mehr unterm Ofen hervor.

Es ist kein Zufall, dass der atemberaubende Aufstieg eines Stephen King in eben genau diese Ära fällt. Seine frühen Romane wie "Carrie" oder "The Shining" trugen dem Mystik- und Okkultboom jener Dekade Rechnung und liefen mit größtem Erfolg auch in den Kinos.

 

Weiße Haie und tödliche Kaninchen

Ein verblüffendes Comeback feierte der Tierhorror. Neben Klassikern wie Steven Spielbergs Blockbuster "Der weiße Hai", waren es zahlreiche andere Tiergattungen die - mal mehr, mal weniger - für angenehmes Gruseln sorgten. Angefangen von tatsächlich furchteinflößenden Raubtieren wie Krokodilen oder Piranhas, reichte die Palette der animalischen Killer von Giftspinnen und Fledermäusen bis hin zu wenig Schrecken erregenden Tierarten wie Fröschen, Kaninchen oder Würmern. Kein Wunder, dass derlei oftmals unfreiwillig komische Elaborate zu Parodien wie "Angriff der Killertomaten" (1978) oder "Schlock - Das Bananenmonster" (Regie und Drehbuch: John Landis!) führten.

 

Blutgericht in Texas: Rezept für Chili con Carne?

Der Haken ist: Der Indianerfriedhof wurde auf dem Haus gebaut...Von höchster Bedeutung war die konsequente Evolution des Splatterfilms. Filmische Psychopathen rückten aus abgeschiedenen Weltgegenden mitten ins Herz der Zivilisation, wie in John Carpenters "Halloween – Die Nacht des Grauens". Nur ein Stückchen weiter entfernt und trotzdem bedrohlich nahe hausten die Menschenfresser in Tobe Hoopers Werken wie "Blutgericht in Texas" oder Wes Cravens "Hügel der blutigen Augen", der auf der Legende rund um Sawney Bean basierte. Der Slasherfilm war geboren! Und mit ihm der Archetyp des nach Menschenfleisch gierenden Kannibalen oder einfach nur ebenso verrückten, wie sadistischen Serienkillers.

Zeitgemäß mit Okkultismus aufgepeppt, vermochte die "Amityville Horror"-Serie dem ausgestorben gewähnten Subgenre der Spukhäuser neues Leben einzuhauchen. Wie seinerzeit durchaus üblich, sorgte die Behauptung, der Film basiere auf wahren Begebenheiten für Aufsehen. Dass der angebliche "Amityville Horror" nichts als ein geschickter Schwindel, ausgebrütet über ein paar Flaschen Wein war, kratzte die nach vorgeblich realen Horror verlangenden Zuschauer wenig. Der Horrorfilm dominierte das Kino der 1970er Jahre und sorgte für einige der größten Kassenschlager jener Zeit.

Living on Video: Die 80er

VHS: Bildung zu Hause

Plötzlich ging Peter ein Licht auf!Trotz erfolgreicher neuer Serien wie "Freitag der 13." oder "Nightmare", begann sich der Niedergang des Horrorfilms bereits in den frühen 1980er Jahren abzuzeichnen. Zunehmend verschwanden insbesondere Splatterfilme aus den Kinos und wurden stattdessen auf den ungeheuer boomenden Videokassetten veröffentlicht. Während immer weniger Genrefilme den Weg auf die Leinwand fanden, füllten sich die Regale der wie Pilze aus dem Boden schießenden Videotheken mit allerlei Horrorstreifen. Selbst obskure B-Movies vermochten dank Videoauswertung profitabel zu reüssieren. Insbesondere italienische Genreware - oftmals billig zusammengeschusterte Schnellschüsse - stießen außerhalb der Landesgrenzen auf größtes Interesse. Bevorzugt wurden Zombie- und Kannibalenfilme, aber auch die im Kino kaum noch anzutreffenden Tierhorrorstreifen gedreht.

Von weitreichender Bedeutung war allenfalls Ruggero Deodato "Cannibal Holocaust" (der weniger provokante deutsche Titel: "Nackt und zerfleischt"). Der im Stile einer Dokumentation produzierte Film spielte geschickt mit den Erwartungen der Zuschauer und thematisierte die mediale Lust an der Sensation.

 

Gestern Horrorfilme, heute Killerspiele

Können diese entzückenden Facettenaugen lügen?Horrorfilme liefen zunehmend im heimeligen Wohnzimmer, was den Beginn der Debatten rund um angebliche Verrohung der Jugend durch eben jene Filme markierte. Während Zensur und Alterskontrollen in den Kinos griffen, wurde es unmöglich, den privaten Konsum von Videokassetten zu kontrollieren. Filme, die etwa in Deutschland nur erheblich geschnitten an Erwachsene verkauft werden durften, waren in Österreich oder der Schweiz ungeschnitten erhältlich. Wie es meistens der Fall ist, kurbelte der Reiz am Verbotenen das Interesse daran erst so richtig an. Selbst ein an sich harmloser, weil komödiantischer Horrorfilm wie Sam Raimis 1981 fertiggestellter Amateurstreifen "Tanz der Teufel" geriet ins Visier der Sittenwächter - und errang damit Aufmerksamkeit, die ihm ansonsten wohl kaum beschieden worden wäre. Später sollten die Auseinandersetzungen rund um Gewalt in den Medien weitgehend von Horrorfilmen und Heavy-Metal-Musik abrücken und sich auf - benutzen wir der Einfachheit halber den zwar dümmlichen, aber populären Begriff - "Killerspiele" fokussieren.

Mit heutigen Augen betrachtet wirkt die ZDF-Dokumentation "Mama, Papa, Zombie" unfreiwillig komisch und reizt die Lachmuskeln. Wohlgemerkt: Diese aus Zwangsgebühren finanzierte Dokumentation stellte keine Satire dar! Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit und genießen Sie diese köstliche Aneinanderreihung von Klischees und verzerrter Darstellung.

TV-Kult: "Mama, Papa, Zombie"

Während der Videomarkt und mit ihm die Horrorfilme boomte, vermochte das Genre im Kino kaum noch zu punkten. Selbst ein Klassiker wie John Carpenters "Das Ding aus einer anderen Welt" floppte völlig. Zu den wenigen kommerziell erfolgreichen Horrorfilmen zählten neben David Cronenbergs Techn-Noir-Horror "Die Fliege" und "American Werewolf" die Horrorkomödien "Gremlins" und "Ghostbusters". Der klassische, geradlinige Horror wurde zusehends aus den Kinosälen verdrängt und floss allenfalls als verwässertes Nebenprodukt etwa in den "Indiana Jones"-Filmen ein. Für Horrorfilme im Kino sollte es mehrere Jahre lang sehr düster aussehen.

Psychothriller dominieren die 90er

Das Schweigen der Lämmer

Na komm, zieh' nicht so'n langes Gesicht!In den frühen 1990er Jahren durchlebte der Horrorfilm eine weitere höchst erfolgreiche Mutation. Was einst Alfred Hitchcock mit "Psycho" ins Rollen gebracht hatte, wurde nunmehr perfektioniert: Der Psychothriller mit Horrorelementen! Dabei erwies sich die Obsession der Zuschauer für Jagden auf Serienkiller als Blockbuster-Material. Der schlichtweg verrückte Psychopath, der mit Äxten, Messern oder Motorsägen eine Schneise der Verstümmelung durch Teenager-Riegen schlug, verlor an Zuschauerinteresse. Genial-verrückte Serienkiller wie Hannibal Lecter begannen das Publikum zu begeistern. Insbesondere auf Grund des Umstandes, dass die Fiktion nicht allzu weit von der Realität entfernt war. Mörder wie John Wayne Gacy oder Ted Bundy übten morbide Faszination auf weite Teile der Bevölkerung aus. Beruflich erfolgreiche Musterbürger von nebenan, entpuppten sich als bestialische Serienkiller. Damit konnten Dracula oder Kannibalen aus dem Hinterland einfach nicht konkurrieren.

"Das Schweigen der Lämmer", David Finchers "Sieben" oder "Misery" zeichneten beunruhigende Bilder zerrütteter Menschen, die beim Verfolgen ihrer Ziele buchstäblich über Leichen gehen. Angelegentliche klassische Stoffe wie Francis Ford Coppolas "Dracula" vermochten aber nicht darüber hinwegzutäuschen, dass der Horror der 1970er und 1980er Jahre im Kino nichts mehr zu melden hatte.

 

Zum Schreien komisch: "Scream"

Ich kann Bruce Willis sehen!Ausgerechnet eine mit den Genrekonventionen kokettierende Serie sollte frischen Schwung ins Getriebe bringen. Wes Cravens "Scream" (1996) verknüpfte die klassischen Horrorelemente mit dem Psychothriller und garnierte das Ganze mit viel schwarzem Humor. Dabei bewegen sich die Protagonisten auf einer Meta-Ebene, da sie sich zunächst über das Horrorgenre lustig machen, später aber zur Zielscheibe eines Serienkillers werden und unfreiwillig beweisen, dass die typischen Genreklischees meist doch stimmen.

Weniger ironisch angehaucht, dafür kaum minder erfolgreich, stürmten zahlreiche weitere Slasherfilme, die auf ein jugendliches Publikum abzielten, die Kinos. Etwa "Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast" oder "Düstere Legenden".

Gleichzeitig sorgten die Fernsehserie "Akte X" und das wiedererwachte Interesse an Esoterik für einen ungeahnten Boom an Mysterythrillern, was in M. Night Shyamalans Blockbuster "The Sixth Sense" seinen kommerziellen Höhepunkt fand.

Internationale Einflüsse: "Ringu", [REC] und Co.

Alexandre Aja mischt das Genre auf

Nach der Jahrtausendwende gewann der Horrorfilm wieder erheblich an Popularität, was nicht zuletzt der im Zuge der Globalisierung stattfindenden Internationalisierung des Genres geschuldet scheint. Der bis dato fast hermetisch abgeschlossene westliche Horrormarkt wurde durch Einflüsse aus Ostasien bereichert. Als ungemein erfolgreich erwiesen sich etwa die amerikanischen Remakes der japanischen "Ringu"-Saga. Gestiegenes Interesse herrschte aber auch an europäischen Werken, insbesondere aus Frankreich. Alexandre Aja ("Haute Tension") wurde von Hollywood entdeckt und für diverse Remakes wie "Piranha 3D" verpflichtet.

 

Deutschsprachiger Horror

... und das vier Tage vor meinem Geburtstag...Parallel dazu entdeckten andere europäische Staaten die Lust am Horror. Spanien etwa mit der [REC]-Serie, aus Schweden stammte das ungewöhnliche Vampirdrama "So finster die Nacht", Norwegen schickte die Pseudo-Dokumentation "Trollhunter" ins Rennen und selbst Island machte mit dem Slasherfilm "Reykjavik Whale Watching Massacre" auf sich aufmerksam. Der Horrorboom beflügelte sogar die dem Genre eher abschätzig gegenüberstehenden Deutschen und Österreicher. Mit "Creep", "Anatomie" oder "Flashback - Tödliche Ferien" gelangten einige Genreproduktionen aus Deutschland in die Kinos und Österreich sprang 2006 mit Andreas Prochaskas Slasherfilm "In 3 Tagen bist du tot" auf den fahrenden Zug auf.

Den bedeutendsten neuen Trend lösten aber die Filmserien "Saw" und "Hostel" aus, den oft als "Torture Porn" bezeichneten modernen Splatterfilm. Während die Spezialeffekte älterer Werke wie "Tanz der Teufel" oder Jörg Buttgereits geradezu putziger "Nekromantik"-Reihe nur mit viel Phantasie als realistisch eingestuft werden konnten, perfektionierte die jüngere Garde der Horrorfilmer rund um Eli Roth das Spiel mit dem Realismus. In Großaufnahme und technisch perfekt, werden Menschen malträtiert oder zerstückelt. Entsprechend sorgten diese Filme für weitgehende Ablehnung und offene Abscheu vieler Kritiker und der Massenmedien. Abseits absurder Vorwürfe wie jenem, die ersten beiden "Hostel"-Teile würden Osteuropa diffamieren, hinterlassen derlei Filme die Frage, welche Grenzen es nach ihnen noch auszuloten gäbe. Einen vorläufigen Höhepunkt an Überschreitung sämtlicher Tabus stellte "A Serbian Film" von Srdjan Spasojević dar.

Weniger ruppig und kontrovers geht es in Horrorkomödien wie "Shaun of the Dead" oder "Attack the Block" zu. Hierbei wird die Gewalt durch augenzwinkernde Ironie abgeschwächt und reizt auf Grund der grotesken Darstellung zum Lachen.

Erfreulicherweise bietet der moderne Horrorfilm praktisch für alle Geschmäcker das Passende und kann auf eine international vernetzte Fangemeinde verweisen, die dafür sorgt, dass dem Genre - um im treffenden Jargon zu bleiben - ständig frisches Blut zugeführt wird.

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